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Die Sydney-Lüge und die Widerlegung der Geographie
Australien, aus dem Sinn
Kam Ihnen das mit den Känguruhs nicht auch schon immer spanisch vor? Das
sympathische Tier, soviel steht fest, basiert nicht auf wahren
Begebenheiten. Aufmerksame Psychologen beginnen bereits, die Schimäre
Känguruh als Beutelphantasie zu deuten. So sollen auf frühen
Känguruh-Darstellungen zunächst Menschen abgebildet worden sein - und
auch die Beschreibung paßt: ein mannshoher Nager, der sich hüpfend und
boxend fortbewegt und seinen Nachwuchs im Bauch transportiert. Eine
Allegorie also, einzig und allein auf dem dunklen Kontinent unseres
Unterbewußten beheimatet.
"Australische" Rockbands wie INXS waren ebenfalls reine Einbildung.
Michael Hutchence ist heute kaum noch zu beweisen, Dame Edna in
Wirklichkeit ein normaler Mensch. Crocodile Dundee und Jane Campion gab
es ohnehin nur im Kino.
Zur Legende trug nicht unwesentlich der Tim & Struppi-Band "Flug 714
nach Sydney" bei, der den U-Topos für bare Scholle nahm. Bezeichnend:
Nicht einmal die Figuren des Comics kommen je dort an, und obendrein
besteht Hergés Buch nur aus Zeichnungen ohne den wohl nötigen Bezug zur
Realität. Hat ein Kontinent das Recht, sich als existent zu begreifen,
dessen angebliche größte Errungenschaft die Sinnlosigkeit zum Prinzip
erhebt?
Der Bumerang ist im wahrsten Sinne gedacht als ein Gegenstand. Der, wenn
er fortgeworfen wird, automatisch zum Werfer zurückkehrt und mithin nur
als Metapher taugt. Meistens funktioniert's noch nicht mal, und ab dafür
in die Botanik. Dann ist das Geschrei groß, und Papariginee muß suchen.
Ein weiteres Klischee der kollektiven Phantasie ist die unendliche Weite
Australiens. Zunächst erscheint es unsinnig, daß zivilisierte
Gesellschaften sich eine Traumwelt schaffen, in der man nicht mal eben
um die Ecke eine Zeitung kaufen kann. Wahrscheinlich aber steckt darin
ein Sinn, den wir (noch) nicht verstehen.
Lange Zeit war Australien nur der Ort, an dem man endet, wenn man sich
durch die Erdkugel buddelt. Doch während der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts häuften sich die Gerüchte von merkwürdigerweise englisch
sprechenden Antipod-People mit recht kontinentalen Gewohnheiten. Eine
Verwandte in Virtualität ist auch am imaginären Arsch der Welt bestens
bekannt: die Queen Elizabeth. Obwohl in der Wirklichkeit schon bestens
ausgelastet, übernahm die Monarchin die Herrschaft über die eingebildete
Gemeinde "Commonwealth", der Australien als Gründungsmitglied
zugerechnet wurde.
Zu den einfallsreichsten Schilderungen, die sich der Kunstwelt des
fünften Kontinents virtuos bedienen, zählen Bruce Chatwins
"Trampelpfade". Chatwin, durch vorangegangene Reiseberichte mit einem
gehauchten Prädikat von Authentizität versehen, malte auf Dutzenden von
Seiten ein Pollocksches Gekröse von Liederlinien, Lebenswegen und eben
Trampelpfaden der Aboriginees.
Schließlich ist da noch das Auswanderungssziel Australien - schlichtweg
Sinnbild für die Hoffnung eines jeden, sich gottweißwo eine neue
Existenz als Bankkaufmann oder TV-Produzent aufbauen zu können.
Umgesiedelt ist noch niemand. Mehr noch: Nur die Menschen, die wir zu
kennen glauben, aber nicht wissen, woher, haben an anderer Stelle einmal
bekundet, sich nach Australien begeben zu wollen.
Sollten Sie dennoch einmal nach Australien geraten, wird Ihnen das
Bewußtsein seiner Zweifelhaftigkeit gute Dienste leisten. Sie sollten
nichts kaufen, was sie nicht augenblicklich benötigen, denn bei der
Rückkehr in die Wirklichkeit bleibt meist nichts davon übrig.
Daniel Hermsdorf und Benjamin Heßler
taz Nr. 5726 vom 4.1.1999 Seite 20 Die Wahrheit 116 Zeilen
TAZ-Bericht D.Hermsdorf / B.Heßler
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