Der Große Dude







Vom Dosen-Dude-Inferno erfuhr ich von meiner Mutter, die mir am Telefon in unbeteiligter Sütterlin-Schrift von dem Vorfall berichtete. Ein neurotischer Stanzwart hatte die Fabrikhallen mit einer wohlüberlegten Benzinspur durchzogen und dann mit seiner Leidenschaft angesteckt. “Wir haben jetzt nichts mehr, Konrad, nichts.” Meine Mutter kicherte leise. Im Hintergrund hörte ich meinen Vater von Blautopasen lallen. Dosen Dude sei ohnehin nur ein Hirngespinst gewesen, die Zukunft sei der Zauberberg. Er müsse sofort rüber zu Einar Blech ins Gefängnis gehen.
Einar Blech war jedoch angeblich an diesem Morgen in seiner Zelle ertrunken, ungefähr, als die ersten Löscharbeiten bei Dosen Dude begannen. Er war am Tag zuvor wegen Schnarchens in den Keller verlegt worden, der dank der ungünstigen Hanglage der Justizvollzugsanstalt komplett vollief. Ein nasses “Inferno” sondergleichen. Blechs Wasserleiche war in dem Chaos unauffindbar.
Als Rainald Dude aufgelöst vom benachbarten Knast nach Hause watete, hatte meine Mutter längst alle Wertsachen zusammengerafft, mit dem teuersten Jahrgang aus Rainald Dudes Weinkeller “Ziehe zu Liebhaber. Mein Anwalt meldet sich bei Dir. Ach, übrigens, Du bist nicht Konrads leiblicher Vater” in großen Buchstaben auf den Wohnzimmerteppich gegossen und auf Nimmerwiedersehen die Biege gemacht. Grober Undank war Kennzeichen ihres Wesens und gehörte zu den liebenswerteren ihrer Eigenschaften.
Es war etwas geplatzt. Allerdings war es nur für Dude sen. eine Bombe. Er rief mich an, um mit einem verständnisheischenden Unterton einen Gesprächstermin mit mir zu vereinbaren. Als ich ankam, saß mein unwissentlicher Adoptivvater wirren Haares mit einer Flasche Hennessy auf einer 10er-Box Carpet Dream im Wohnzimmer, um ihn herum verstreut leere “Château If”-Buddeln und leere Tablettenröhrchen. Er umklammerte mich schluchzend und suchte mir verständlich zu machen, daß jemand anderes mein Vater, die Ehe mit Mutter eine Farce gewesen sei. Meine stoische Gelassenheit und mein Hinweis, dies sei für mich kalter Kaffee, trugen nicht eben zur Azurisierung seiner Laune bei.
Carpet Dream stieg mir beißend in die Nasenlöcher. Wie immer wurde mir leicht schwindlig, die Zimmerdecke tat sich auf, und Dreck materialisierte sich aus einer Effektwolke. Die Spürnase schwebte körperlos auf mich zu, um sich dann mit in die Hüften gestemmten stahlharten Fäusten vor mir aufzubauen.
“Wo”, schallte es tief und autoritär aus seinem muskelbepackten Brustkorb, “waren Sie gestern abend?”. “Ich kann mich nicht erinnern”, versetzte ich wie gelähmt, “aber Seiler weiß mehr. Und Feyerabend. Trautmann wahrscheinlich auch.” Dreck notierte sich die Namen auf seine emsige Art und wurde mit Airbrush durchsichtig gesprayt, so daß ich Rainald Dude wieder sehen konnte. Umnebelt fragte ich mich, ob Trautmann reden würde und ob Feyerabend die treibende Kraft hinter der ganzen schmutzigen Geschichte war. Seilers Rolle bot ebenfalls Anlaß zu Spekulationen: gewissenloser Handlanger oder hilfloser Beobachter? Kameradenschwein oder arme Wurst?
Mein Vater hatte mittlerweile mit seiner Stirn ein Fenster eingeschlagen, und dank der zwar rußgeschwängerten, aber frischen Luft konnte ich zwanzig Minuten später meine Beine wieder bewegen.
Ich verließ Rainald Dude, als er wimmernd in eine abgerissene Gardine gewickelt über einer langsam auslaufenden Flasche mit Carpet-Dream-Schaumbasis inhalierte, manisch den Halbsatz “die Maxime deines Handelns” wispernd.


[...]





The Killer-Memorandum I

Seine Gummisohlen quietschten auf dem Fußboden der Galerie, in der Rahel Mönch ihre neue Installation präsentierte. Ein Endlosband mit Schlagergrößen und darauf abgestimmt gefakete Autogrammkarten zum Mitnehmen riß die Szene mal wieder hin.
Niemand beachtete den verstohlen blickenden Osteuropäer Vladislav in seinem schwarzen Ölzeug. In einem unbeobachteten Moment zog er seine Walther-PPK, die er nur so nannte, aus dem Nerz-Muff, den er auf eine gewisse Weise scheinheilig bei sich führte, und streckte Rahel mit mehreren lautlosen Schüssen aus dem Schalldämpfer auf dem Buffett nieder. Noch Stunden später angelten sich die Gäste ihrer Lachshäppchen unter Rahels zerfetztem Oberkörper hervor, weil sie auch dies für einen gelungenen Einfall hielten.
Und Vladislav war schon auf seiner nächsten Reise.


Die Rufe nach einem öffentlichen Auftritt wurden unüberhörbar. Bisher hatte mein Pressesprecher Bodo Kift immer verlegen auf Wagners Rekonvaleszenz verwiesen, aber angesichts der leeren Klatschspalten in GEIST und LISTE mußte auf irgendeine Weise eine neue Wagner-Epiphanie her. Sein Stunt-Double war leider seit dem Erstverkaufstag von “Fieber II” krank. Kamikazemodels mit Latexmasken konnten den übervorsichtigen Lobotek nicht überzeugen, geschweige denn den Genius Wagner auch nur halbwegs haptisch simulieren. Als Schweiggert bei einer Pressekonferenz die Vermutung äußerte, dieses “Phantom Wagner” existiere “nurmehr nicht”, erfand Kift geistesgegenwärtig ein seltenes Retrovirus, das Einar Blech noch zu Lebzeiten isoliert und Wagner irrtümlich per Post zugeschickt habe. Kift: “Wagner darf sich nicht aus dem Elfenbeinturm bewegen. Das Retrovirus würde mit der Luft reagieren und seine Drüsen verstopfen.”
Bis irgendein Nobelpreisträger diesen biologistischen Dünnschiß als solchen entlarvt hatte, vergingen immerhin zwei Wochen. Während der W2D-Krisenstab nach neuen Strategien fahndete, machte ich mich eilig an den “Verwaltungsvorbehalt”, einen schmierigen Yuppiekrimi, den wir im Fall des Systemabsturzes schnell auf den Markt werfen wollten. Als ich ein Viertel runtergeschrieben hatte, blickte ich vom Kotzeimer auf und direkt in ein armlanges Teleobjektiv, dessen menschlicher Operator eine Mischung aus einem Seiltänzer und einer Bullenkröte war. Er hing kopfüber von einem Trapez, das an einem Helikopter baumelte und hatte mich in flagranti, beim kilobyteweisen Auswurf präsenilen Wagner-Gemümmels erwischt.
Ich drückte den roten Alarmknopf, aber die Wasserwerfer erreichten ihn nicht mehr.
Die Aussicht auf das GEIST-Sonderheft, das der nächste Morgen garantiert mit sich bringen würde, trieb Lobotek in den dämlichsten Selbstmordversuch, seitdem der letzte Papst vereidigt wørde war. Er wollte sich an Vincent Reisbühls Lockenwickler aufhängen, der als tableau humide im Wagner-Museum in der alten Staubdorfer “Literatur-Mühle” installiert war (Kostenpunkt: eine Viertelmillion). Ich meine Duschvorhang statt Lockenwickler.




Der Große Dude Zurück