Dann reicht’s aber, Herr #Edathy

Heute beginnt der Prozess gegen Sebastian Edathy (SPD) wegen des angeblichen Besitzes von Kinderpornografie. Seit einem Jahr nun geistert dieser Mann deswegen durch die Medien. Für die Steuerung unserer Öffentlichkeit hat dieser Fall auf einer Ebene wohl dieselbe Funktion wie die langgezogene Affäre um den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Darüber schrieb ich hier diverse Beiträge.

Auch zur Aufmerksamkeitsökonomie der Edathy-Affäre habe ich mir schon geäußert. Und mit einer gewissen Fassungslosigkeit las ich dann über all die letzten Wochen wieder eine um die andere Überschrift zum Thema Edathy. Es handelt sich wohl um ein Musterbeispiel dafür, wie man die Presse-Öffentlichkeit zuspammt mit einigen wenigen Variablen: Was hat Edathy nun wirklich getan? Was erfuhr er durch Jörg Ziercke? Was besprach er mit Thomas Oppermann (SPD)? Ist er das Opfer eines Missverständnisses? Was wusste Michael Hartmann (SPD) davon? Wussten außer Hartmann noch andere Personen davon? Die Formulierung, die Affäre ziehe „immer weitere Kreise“, verbreitete sich vor einigen Tagen epidemisch. Nach Wochen der Erwähnungen Hartmanns waren es dann schon 57 Personen, auf die die Ermittlungen ausgeweitet werden müssten.

Während weite Bereiche unseres Lebens durchleuchtet und durchgecastet sind, soll ausgerechnet einer, der relativ sorglos über amtliche Server sexuell orientierte Fotos von Kindern herunterlädt, zum Vorsitzenden eines brisanten Untersuchungsausschusses geworden sein?

Wie in anderen Fällen wirkt es doch eher so, dass eine Person mit solchen Vorbelastungen erst zu einer gewissen Prominenz aufgebaut wurde, dass durch Involvierung anderer Personen ein entsprechendes Skandal-Potenzial und die sukzessive Ausbaubarkeit von Ermittlung und Berichterstattung generiert wurde – und schon kann hemmungslos und ausführlichst über etwas berichtet werden, was zwar traurig, aber für das Land im Ganzen relativ irrelevant ist: die angebliche Pädophilie eines Mannes, der anschließend wohl in vollkommene Vergessenheit geraten wird.

Soll das nun eine Volkspädagogik sein, die das Thema Pädophilie an diesem Beispiel verhandelt?

Sexuelles Interesse und sexuelle Handlungen an Kindern gehören in unserem Kulturkreis zurecht zu den am meisten verachteten Verhaltensweisen. Ich zweifle etwas daran, dass man hier noch ernsthaft nachhelfen muss. Der Effekt der Affäre ist aus meiner Sicht in erster Linie, dass neben dem generellen Bedarf nach Skandalen hier die besonders unappetitliche Causa Kinderporno noch und nöcher durch die Kanäle geht. Es zieht uns alle herunter, permanent mit solcher Degeneration konfrontiert zu sein. Es sät in allerlei privaten Zusammenhängen den Verdacht, dieser oder jener könne „auch so einer“ sein. Mehr als irgendeine notwendige Aufklärung bewirkt dies nach meinem Eindruck eher soziale Zersetzung und die Verbreitung von Depression über die Niederträchtigkeit von Menschen, statt auf Gutes, Interessantes, Produktives hinzuwirken.

Soweit ich das mitbekommen habe, hat Sebastian Edathy sich ja nicht einmal großartig öffentlich von derlei distanziert. Er betont lediglich, keine unrechtmäßigen Taten begangen zu haben. Dies ist für mich das eigentlich bemerkenswerte an ihm. Wo und wie er in Zukunft leben will, wie er mit Menschen Umgang pflegen will – wie stellt er sich das wohl vor?

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

5 Antworten

  1. mario sagt:

    die ganze causa edathy stinkt doch zum himmel. hier vermischen sich m.e. nach so viele themenbereiche, nsu, bnd, kinderpornographie, usw… das ich für meinen teil nicht wage zu beurteilen was, wann und warum passiert oder an die öffentlichkeit gerät. das gerne menschen an positionen gesetzt werden (oder rutschen) die eine “leiche im keller” haben und bei bedarf angreifbar sind… ist doch an sich ein alter hut. schlapphut 😉

  2. Peter Hallonen sagt:

    Zum Thema “bewusste Inszenierung von Skandalen” gibt es m.E. eine Fragestellung, der sich auch Verantwortliche aus Medieninstitutionen nicht entziehen könnten. Was wäre, wenn es an einem bestimmten Tag einfach nichts zu berichten gäbe? Wenn letztendlich um 20.00 Uhr in der ADR statt der Tagesschau nur eine Meldung käme, dass am heutigen Tage sich nichts nennenswertes ereignet hätte, sodass man diese Sendung ausfallen lässt? Vermutlich ist unsere Gesellschaft darauf angewiesen, in der Illusion zu leben, dass die Entwicklung in der Welt im Allgemeinen mit Unsicherheit behaftet ist und jeden Tag neu über sie entschieden wird – um nicht einer Apathie der Ausweglosigkeit des aktuellen Kurses anheimzufallen? Jedenfalls sollte einmal die Frage nach einer “Welt ohne Nachrichten” aufgeworfen werden und ob unsere Gesellschaft dies überhaupt verkraften würde oder auf das tägliche “Futter” namens Nachrichten angewiesen ist.

    Vermutlich würde man zum Ergebnis kommen, dass wenn es an einem bestimmten Tag in der Zukunft voraussichtlich nicht genug zu berichten gäbe, eben frühzeitig Anstrengungen unternommen würden, etwas zu Berichtendes zu produzieren. In einem weiteren Sinne sind dies nicht nur Skandale, sondern eventuell auch Katastrophen und kriegerische Auseinandersetzungen in der Welt. Man hat jedenfalls nicht den Eindruck, dass Menschen unter einer Berichterstattung über Katastrophen (=negative Ereignisse) sonderlich leiden würden. Vielleicht haben diese sogar letztlich einen zufriedenstellenden Effekt in dem Sinne, dass der Konsument dieser schlechten Nachricht darüber beruhigt ist, dass er selbst nicht von diesem Ereignis betroffen ist.

    Zumindest sollte man nicht die Möglichkeit ausschließen, dass es so oder so ähnlich sein könnte. Dann würde man sich eventuell darüber wundern, dass es so auffällig wenig nachrichtenlose Tage gibt, sondern sich wie ein Wunder tatsächlich immer um 8.00 Uhr die besagten 15 Minuten mit mehr oder minder weltbewegenden Ereignissen füllen lassen.

  3. LaoTsu sagt:

    Dass Herr Edathy der Vorsitzende vom NSA-Ausschuß war, wollen wir hier mal gar nicht in Betracht ziehen… oder?

    Hat man ihn wissentlich da hingesetzt oder hat man im Nachhinein den Hebel für die Erpressung gefunden, ist eigentlich völlig egal.

  4. Helmut Josef Weber sagt:

    Soweit ich mitbekommen habe, ist Herr Edathy noch nicht verurteilt.
    Alleine die Tatsache, dass Herr Edathy wohlmöglich pädophil ist, ist nicht strafbar.
    Ob Herr Edathy aber Straftaten begangen hat, wird sich im Strafverfahren herausstellen.
    Ihre Vorverurteilung und die Äußerung darüber wo Herr Edathy leben will, ist billigster Journalismus.
    Kann man als freigesprochener Angeklagter mit seinen Neigungen die alleine nicht strafbar sind, nicht mehr in Deutschland leben???
    Auch wenn Herr Edathy verurteilt wird, dann hat er zwar eine sehr verachtenswerte Straftat begangen, aber kann er dann nicht mehr in Deutschland leben?
    Junge, Junge, wenn das wieder Schule macht.

    Viele Grüße
    H. J. Weber

    • Naja, wenn Sie das Verhalten von Edathy überzeugt … Ich finde es auch bedenklich, dass man mit einem solchen Thema eine Person diskreditieren kann, auch wenn am Ende keine juristische Verurteilung erfolgt.
      Aber eins muss ich Sie doch fragen: Haben Sie irgendwo einmal eine deutliche Abgrenzung Edathys vom Gebrauch kinderpornografischen oder grenz-kinderpornografischen Materials gehört?

Kommentar verfassen

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung