Tatort, Tod und tolle Bilder

„Die meisten, die auf diesem Tisch landen, wollen noch etwas sagen. Sie schreien die Namen ihrer Mörder heraus – in ihrer Sprache. Und sie haben niemanden, der das übersetzen kann – … nur uns.“ So spricht Ulrich Mühe als Gerichtspathologe Dr. Robert Kolmaar in der ZDF-Serie „Der letzte Zeuge“ (1998-2007). Es war der Auftakt zu einer internationalen Welle von Krimi-Serien, die Obduktionsberichte und Leichenbilder in den Vordergrund rücken, wie die US-amerikanischen „CSI“-Varianten (2000ff.), das italienische „R.I.S. – Delitti imperfetti“ (2005ff., mit deutschem Remake) oder, derzeit besonders populär, der ARD-„Tatort“ aus Münster.

Die RTL-Neuauflage von „R.I.S.“ trug den Untertitel „Die Sprache der Toten“ – als wäre es ein Zitat aus dem Trendsetter „Der letzte Zeuge“. Ja, was sagen sie uns denn? Klar, können wir auch hier einer Krimi-Handlung mit Opfern, Tätern und einer Auflösung folgen. Aber ist der einzige Grund einer solchen Themenwahl die Suche nach Innovationen? Schneller, toter, ekliger?

Das folgende Video verdichtet ein paar Argumente, warum das Auftauchen dieser Ästhetik von Leichenschauhäusern und gerichtspathologischen Fachbegriffen etwas mit unausweichlichen Entwicklungen unserer Gegenwart zu tun hat: mit Überalterung, Ressourcenknappheit und Kulturmüdigkeit.

Wir sehen in den Filmzitaten eine Bewusstseinsindustrie am Werk, die über alles den Firniss der Todesnähe und Todesverfallenheit legt. Wir können dafür in der Kulturgeschichte über die Jahrhunderte Beispiele finden – die allerdings inhaltlich anders motiviert waren. Außerdem prägen sich heute spezifische Jugendkulturen (Gothic, Vampir-Subkultur) aus, die andere Qualitäten und Quantitäten von Todeskult vorstellen. Buchhandelsketten reservieren mittlerweile ganze Regalwände für Vampirromane. Und neben einem Langzeit-Hit wie „CSI“ (mit einer seit 12 Jahren produzierten Serie ebenso vertreten wie mit zwei andauernden Spin-offs in den US-Großststädten Miami und New York), in Deutschland auf RTL und VOX zu sehen, ist der „Tatort“ Münster mit Jan-Josef Liefers und Axel Prahl in den Hauptrollen ein scheinbar allseits beliebtes Ritual für den Sonntagabend.

Die Lust am Makabren verbindet sich in den Schlüsselszenen in der Gerichtspathologie mit einem technokratischen Jargon, der allerlei Raum zu Doppeldeutigkeiten lässt. Nicht zuletzt betrifft dies immer wieder die Tatsache, dass die Toten uns vielleicht etwas sagen wollen.

(Das Buch „Glotze fatal“ enthält ein Kapitel zum Thema „Todesverfallenheit“, in dem es um diese und andere Aspekte geht.)

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

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