Schuldenabbau und wie die „tagesschau“ ihn sah

Es gibt Menschen, die eine neue Sprache erfinden – so der User „Alp“ auf der Website „kurzefrage.de“:

Die Sprache ist einfach zu meinem eigenen Vergnügen da und soll gut klingen. Ziel ist , irgendwann eine Website in dieser Sprache zu erstellen. Mit Gedichten und verschiedenen Texten.
Wer Lust hat kann sie (Sprache und Website) ja mit Beiträgen mitgestalten.

So funktioniert auch zeitweilig die Finanzpolitik der Bundesregierung im Zusammenspiel mit öffentlich-rechtlicher Berichterstattung, jedenfalls im ARD-„tagesschau“-Bericht von Tim Herden am 04.11.2010. Nach einem Statement von CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble resümieren Off-Kommentar und Infografik die Pläne für den kommenden Jahreshaushalt 2011 unter dem Begriff „Schuldenabbau“:

Screenshot: ARD, 04.11.2010

Hier wird politischer Journalismus zur Poesie – hatten wir den Begriff „Schuldenabbau“ doch seit jeher in der schnöden Weise erlernt, ihn als den Abbau von Schulden zu verstehen. Diplom-Journalist Tim Herden („Berlin ist für mich … spannend, tolerant, interessant“) jedoch nimmt uns mit in eine luftige und leichte neue Sprachordnung, in der als solcher Abbau schon die Verminderung von Neuverschuldung verstanden sein will.

Wie schon im letzten Eintrag zur „tagesschau“-Berichterstattung über Atommüll nähern sich politischer Jargon und politische Praxis metaphysischen Diskursen an, wo die Welt doch mit so zähen Zwängen aufwartet. Denn im Jenseits der Fakten immerhin blüht die bukolische Hoffnung. Wo in der Theologie das „Möglichkeitsdenken“ zum „Gottesgedanken“ führen kann, zeigt die „tagesschau“-Grafik ja auch nur den „Möglichen Schuldenabbau“ an.

Gottes Wege sind unergründlich, und deshalb kommt im nächsten Jahr vermutlich alles anders, als die „tagesschau“ es uns glauben lässt.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

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