Tatort Hörspiel – Kokain in Serie

Wie kaum anders zu erwarten, werden auch die Hörspiele zur ARD-Krimiserie „Tatort“ vom Publikum ‚gut angenommen‘. Die aktuelle Folge des Monats kann man auf der Website des „Radio Tatorts“ umsonst abrufen. Die Download-Zahlen werden mit jeweils über 100.000 angegeben.

Ich machte gestern einmal mit der 50. Jubiläums-Folge die Probe auf den Exitus: „Noch nicht mal Mord“, Buch: Dirk Schmidt. Das Personal der Hörspiele ist ein anderes als in TV-Folgen. In diesem Fall spielt die Geschichte, begleitet von Ruhrgebiets-Slang, in Hamm. Gaststar als Sprecher: Uwe Ochsenknecht.

Von den 58 Minuten hielt ich die Hälfte durch. Da wurde eine Leiche aus dem Klärwerk gezogen – was als olfaktorisches Ereignis verbal transportiert werden musste. Bei einer Wohnungsdurchsuchung fanden die Ermittler Kokain vor – das sogleich einem unerlaubten Praxis-Test unterzogen wurde. Zwischendurch tauchte noch ein sarkastischer Witz über Geschlechtsumwandlung („Totaloperation“) und Muttergeld auf.

Auch die TV-Version erweckt bei mir in Stichproben fortlaufend den Eindruck eines überfälligen, durch Frequenz-Steigerung totgelaufenen Formats, an das sich ein Millionenpublikum unbeirrt in nostalgischer Verklärung und todessehnsüchtiger Geschmacksverirrung klammert. In der besprochenen „Radio Tatort“-Folge finden wir einen weiteren massenmedialen Versuch vor, Leben im Ruhrgebiet durch etwas überzogenen Dialekt und eine gewisse trostlose Atmosphäre zwischen Maloche und aggressivem Verhalten darzustellen. In der PR für die Serie wird derlei als authentisches Lokalkolorit oder gar politisches Statement für den Föderalismus verkauft.

Ein Aufstöhnen erzeugte bei mir der erwähnte Kokain-Fund der fiktiven Ermittler. Seit 10-20 Jahren heben Film und Fernsehen in erheblich gesteigertem Maße die Luxus-Droge in das Massenbewusstsein. Ob Hollywood-Thriller oder Harald Schmidt, Boulevard-Magazin oder Todesnachricht aus dem Reich der Stars – immer und immer wieder Koks.

Hier führt dies zu der auf Einverständnis beim Publikum spekulierenden Vorgehensweise, dass Polizisten „Beweismittel“ durch die eigene Nase ziehen. Ein so versuchter Humor bleibt im aussageschwach Vagen: Polizisten koksen – nein, wie dreist. (Ist es das wirklich? Was sind Realitäten in Kreisen von Ermittlern oder gar von Geheimdiensten? Das könnte frisch und gewagt sein.) Beim Publikum löst derlei entweder aus: 1) Ich habe keine Erfahrung mit Kokain. Durch die Fiktion erhalte ich Einblick in eine Welt, von der ich nicht genau weiß, wie sie in der Wirklichkeit sein mag. So (glaube ich vielleicht mehr, als dass es der Fall ist) kann ich ein wenig mitreden, wenn das Thema aufkommt – Kokain, hahaha. Optional: Vielleicht probiere ich es selbst einmal, wenn sich mir die Gelegenheit bietet. Ich bin neugierig geworden. 2) Ich kokse selbst gelegentlich. Die Figuren sind Leute wie ich.

An diesen kognitiven Optionen einer solchen Darstellung von Drogenkonsum wird zum einen die – durchaus nicht ganz obsolete – alte medienkritische Frage virulent, inwiefern Medieninhalte zu ungesunden und gefährlichen Verhaltensweisen verleiten. Zum Thema Kokain könnte man ein ganzes inhaltsanalytisches Forschungsprojekt durchführen – und würde voraussichtlich zu Ergebnissen kommen, die Medienproduzenten nicht unbedingt recht sein können: Sie fördern in toto wohl effektiv die Schwarzmarkt-Subventionen gen Kolumbien. Die diskursive Dosis-Steigerung der letzten Jahrzehnte ging mit einer Steigerung des realen Konsums einher. So heißt es dann in Hilfsangeboten wie jenem des ambulanten Suchtberatungs- und Behandlungszentrums „seehaus“ in Hamburg:

Kokain hat sich in den letzten Jahren zur (illegalen) Droge Nummer Eins entwickelt. Für viele Menschen begrenzt sich der Konsum von Kokain nur auf eine vorübergehende Lebensspanne und findet in größeren Abständen auf Feiern statt.
Auf der anderen Seite entwickeln aber immer mehr Menschen Probleme im Umgang mit Kokain. Die Nachfrage nach Hilfeangeboten für Kokainkonsumenten hat deutlich zugenommen und zwar sowohl von Betroffenen als auch von Angehörigen.

Schön, dass Autoren von Kokain-Fiktionen auch für öffentlich-rechtliche Medien so gut verdienen. Die Zeche zahlt in einer solchen Hinsicht dann der Steuer- und Abgabenzahler für kostspielige Therapien, die jene beanspruchen, für die Inhalte nicht nur Unterhaltung, sondern auch Bewusstseinsbildung sind – und die sich so zu selbstschädigendem Verhalten anleiten lassen.

Wie ich am selben gestrigen Abend bemerken musste, ist diese Art der Prägung auf harte Drogen mittlerweile auch in entsprechenden Medienangeboten für Kinder und Jugendliche angekommen. In der Hörspiel-Folge „Die drei ??? – Zwillinge der Finsternis“ (2008) finden die jungen Ermittler ebenfalls im Laufe des Falles Kokain vor. (Der Autor der Folge ist Marco Sonnleitner, Lehrer in Memmingen.) Als Jugendlicher las ich selbst etwa die ersten 40 „Drei ???“-Bücher – und kann mich an derlei Inhalte nicht erinnern. Auch hier: Dosis-Steigerung – und: Drogen – und: härtere Drogen.

Im „Drei ???“-Hörspiel darf dann auch Sprecher Martin Semmelrogge jungen Zuhörern die Bedeutung des Wortes „Schnee“ in diesem Kontext erklären. In erwähnten Boulevard-Formaten werden hinwiederum entweder Semmelrogges eigene Drogenerfahrungen oder seine Warnungen davor präsentiert.

Sollte all dies die Alternative zu Prüderie und Verlogenheit in Sachen Rausch sein, haben die auch mit Drogen verbundenen gesellschaftlichen Revolten seit 1960 auf dieser Ebene leider eher Sorglosigkeit und Stumpfheit als Bewusstseinserweiterung hervorgebracht.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

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