Basisdemopathisches Spießertum

Hier ein paar Beobachtungen und Argumente zum Status von Öffentlichkeit und Kritik in der Piraten-Ära. Ich nehme mal ein Video als Ausgangspunkt, das schon nicht mehr ganz frisch ist, aber zur Anschauung sehr dienlich. Dietmar Moews, der auf seinem „YouTube“-Channel eine ganz eigenartige Form der Programmkonstitution als Video-Blog betreibt, wird hier von einem anderen Vlogger, dem „Piratenfunker“, am Rande des Piraten-Parteitags 2012.1 am 28./29.04. in Neumünster interviewt.

http://www.youtube.com/watch?v=q42klv4UlTc

Hauptanliegen meiner Anmerkungen sind zunächst zwei Argumentationsmuster, die mir wiederholt auffallen. Sie werden immer wieder Akteuren entgegengehalten, die prinzipiell einen emanzipatorisch-liberalistischen Diskurs vertreten, der mit einer Piraten-Agenda zu verbinden wäre:

  1. Du begleitest deine Veröffentlichungen mit werbenden Inhalten und hast ggf. sogar finanzielle Einnahmen hierdurch.
  2. Du erweckst den Eindruck, dich persönlich profilieren, öffentliche Bekanntheit erlangen zu wollen.

In diesen beiden kritischen Aussagen gerinnt etwas, das ich hier einmal basisdemopathisches Spießertum nennen möchte, und nach meinem Eindruck grassiert es besonders in einer jüngeren Klientel, die der Piratenpartei zugeneigt ist.

Was meine ich damit?

Die beiden Aussagen zielen auf etwas, das viele Betätigungsfelder in unserer Gesellschaft und Kultur beherrscht: Abzielen auf finanzielle Erlöse und Machtgewinn durch Prominenz.

Piraten-typische jüngere Bürger sind durch die Gegenöffentlichkeit des Internets auf eine Reihe von Implikationen des Kapitalismus und der Mediengesellschaft sehr früh aufmerksam geworden: Sie wissen, dass Bilder manipuliert werden können und gezielt auf psychologische Wirkung gestaltet sind; dass vielfach versteckte Werbung betrieben wird, wozu das Internet in seiner Anonymität ein optimales Umfeld bietet; dass Medienkonzerne relativ willkürlich Hypes um Personen und Ereignisse inszenieren können, um wirtschaftliche oder politische Zwecke zu verfolgen.

An dem Interview mit Dietmar Moews (und dem Umgang mit seiner Person in diesem Kontext) zeigt sich aus meiner Sicht, das sich ein solches prinzipiell begrüßenswertes kritisches Bewusstsein des öfteren auf die falschen Ziele orientiert.

Möglicherweise muss man soweit gehen, darin einen sehr unerfreulichen Aspekt der Piraten-Bewegung, wie sie derzeit auftritt, zu sehen. Er besteht in einem gespaltenen Bewusstsein: Skepsis und Medienkritik sind scheinbar umfassend erlernt worden. Sie werden jedoch nicht zuerst auf eine breite Ebene gestellt (wozu es langwieriger und wohlüberlegter Arbeit bedarf), sondern sucht sich Nahziele. Und diese bieten sich oft in Personen, die selbst überhaupt nur in natura unter Piraten auftreten. (Macht besteht hingegen oft darin, gar nicht selbst in Erscheinung zu treten, sondern wissende oder unwissende Vertreter für sich agieren zu lassen.)

Mir sind Diskussionen aus Piraten-nahen Kontexten über eine Abschaffung der GEMA bekannt, die von meiner Kritik zunächst auszunehmen sind. Denn sie richten sich gegen etablierte und mächtige Gegner – und haben nach meiner Einschätzung recht geringe Erfolgschancen.

Abgesehen von den knapp 10 % an Wählern, die bei Wahlen oder Umfragen Piraten ihre Stimme geben und dementsprechend Alternativen suchen, wird öffentliche Meinung nach wie vor von den bekannten Konzernen bestimmt. Und sie tun dies dadurch, dass sie ihre Mitarbeiter dafür bezahlen, was sie tun. Und sie werden nur bezahlt für bestimmte Dinge. Täten sie anderes, würden sie nicht eingestellt und bezahlt. Und viele können deshalb viele Dinge auch erst gar nicht tun. Heraus kommt der oft unerträgliche Brei, mit dem in unseren Massenmedien von den professionell Beteiligten Geld verdient und von Konsumenten Geld und Zeit verloren wird. Wo Piraten-Politiker selbst eher technische und programmseitige Dienstleistungen zum Broterwerb nutzen, werden ihnen diese Limitationen von Publikationen, Demokratie und Transparenz (und die schwierige Finanzierung von Alternativen) seltener zu Bewusstsein kommen. Manche kurzsichtige Änderung von Urheberrechten würde diese Tendenzen wohl eher noch verstärken (nur soviel sei an dieser Stelle angedeutet).

So einfach, so traurig. Auch das Internet bietet bisher nur eingeschränkte Alternativen: Oft ist es der gleiche Unsinn und die gleiche Trivialität, die in anderer Form oder schlichter Übernahme kommerzieller Inhalte gepflegt wird. Interessante Inhalte bleiben am äußersten Rand und gelangen nie an ein größeres Publikum (nicht nur, aber auch), weil mächtige etablierte Akteure immer dieselben Schoten featuren, die sie seit Jahrzehnten schon in TV und Print großmachen. Und dann gibt es noch die Kategorie, in der die Paranoia greift: Angeblich kritische Publizisten erwecken den Verdacht, Agenten der Gegenseite zu sein, die ihre Sache absichtlich schlecht machen. Moews spricht Vergleichbares im Interview zur Unterwanderung der Piratenpartei an. Ich teile die von ihm geäußerten Verdachtsmomente.

Die oben von mir angeführten zwei Aussagen würden fast alle derzeit erfolgreichen Öffentlichkeitsarbeiter und Medienprominenten ins Herz treffen: Mit jeder erdenklichen, ob durchsichtigen, raffinierten oder perfiden Masche wird aus Konsumenten für Medienprodukte oder durch Medienmanipulation Geld herausgepresst. Von vielen wichtigen Themen haben die meisten schon einmal gehört, wissen aber kaum etwas über die Schlagzeilen hinaus. Dafür nimmt das Wissen über die nächste Promi-Marionette, ihr verschwafelt-inhaltsleeres Buch oder ihr gänzlich irrelevantes Privatleben selbst bei Intellektuellen noch einen größeren Gedächtnisraum ein als vieles andere, nach gängigen Maßstäben (wenn man sie denn anwendete) wesentlich Relevantere.

Kerngedanken der Piraten-Programmatik haben in diesem Kontext jedoch zu der hier angesprochenen unausgegorenen Mischung von Ansichten und komunikativen Beißreflexen geführt: Die herkömmliche Medienlandschaft halten sie eigentlich in Bausch und Bogen für tot und rufen nach einer Reform von Urheberrechten. (Dies wäre gesondert zu diskutieren.) Obwohl, wie erwähnt, das politische Agenda-Setting nach wie vor von ARD, „Bild“ und „Zeit“ betrieben und 70 % der Bevölkerung von RTL & Co. gar nicht mehr politisiert, sondern nur noch zerstreut wird, fetischisiert die neue Piraten-Ideologie einen Weltentwurf, der bisher noch nie Realität wurde: der zu allen wichtigen Themen kompetente, äußerungs- und entscheidungsfähige Bürger sowie die Transparenz aller politischen Entscheidungen.

Die Piratenpartei wäre von etablierten Medien in den letzten Monaten vermutlich nicht hochgeschrieben worden, wenn sie ihre abstrakten Ansprüche einlösen könnte und in mancher machbaren Hinsicht würde. Auch hier greift Moews’ Verdacht einer Unterwanderung: So, wie Piraten-Politik derzeit noch abläuft, hat sie keine Revolution zur Folge, sondern eine weitere Zersplitterung des linksliberalen Lagers und eine Verstrickung aller Beteiligten in den äußerst aufwändigen Aufbau komplett neuer Strukturen und komplett neuer Programmatik (in hohem Maße bestehend aus bereits existierenden programmatischen Angeboten). Ich will dabei gar niemand entmutigen, sondern vielmehr fordern, in den angesprochenen Aspekten wachsam und zielorientiert zu bleiben.

In den zwei inkriminierten Argumentationsmustern ist eine der imho falschen Ideologien wirksam, auf die man piratige Äußerungen überprüfen sollte: Eine idealistisch fundierte, auf absolute, positiv besetzte Werte fixierte politische Gestaltungsabsicht verspricht radikale Veränderung. Vielleicht eher unbewusst blendet sie die dabei eher unüberwindlichen Hindernisse aus (die sich erst in praktischer Erfahrung zeigen). Stattdessen stürzt sie sich bisweilen, wie beschrieben, in der Praxis auf leichtere Gegner. Wir werden voraussichtlich weitere Selbstzerfleischungen der Piraten sehen, wofür der Umgang mit Dietmar Moews ein Beispiel ist. Letzterer wäre für die Piraten allemal ein konsequenterer Kandidat als ausgerechnet ein Mitarbeiter des Bundesverteidigungsministeriums, dessen verbale Aussagen bisher behäbig und wenig originell daherkommen. Doch die Gruppendynamik hat anderes bewirkt – und sie wird von etablierten Akteuren mitgelenkt, wie etwa der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, die Moews’ Demontage betrieb. Schon die Foto-Auswahl des gerade verlinkten Artikels ist propagandistisch und zeigt uns das in diesem Fall niedrige Niveau einer vermeintlich ehrwürdigen Presseinstitution.

Das basisdemopathische Spießertum von Piraten, wie sie nicht sein sollten, ist bisher schändlicherweise eher ein Machteffekt der Verhältnisse, wie sie schon lange sind: tendenzielle Freistellung etablierter Akteure von Kritik (oft durch schlichte Nicht-Erwähnung und schleichende konzeptionelle Ignoranz ihnen gegenüber); Kleinlichkeit in einer imaginären Sphäre von allerlei Gerechtigkeiten und Transparenzen – ein Schrebergarten für Nerds, die sich freuen, eine kleine Nummer für den Einsatz von Website-Cookies abzuwatschen, aber ebensowenig den Doppelagenten auf dem eigenen Wahlzettel erkennen wie die Funktion einer manipulierten Partei im Universum gut organisierter Desinformation.

So wird jener Krieg nicht gewonnen werden, der er ist.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

Eine Antwort

  1. dietmar moews sagt:

    Sehr geehrter Herr,
    ich danke Ihnen dafür, mit einem kritischen Ansatz zu arbeiten und unter anderem
    diesen Vlog filmdenken.de zu initiieren,wo Sie das Interview von Piratenfunker mit mir als Piraten-Bundesvorstandskandidat 2012, bei Youtube, ansprechen.

    Ich habe zu der Piratenführung und -fühlung, die Sie
    mit Anmutungen von Verschwörung bzw. auch Zersetzung anpieksen, selbst empirisch-soziologische Befunde erfasst,
    analysiert und interpretiert (s. div “Lichtgeschwindigkeit” bei dietmarmoews auf Youtube).

    Ganz kurz und final kommt
    heraus, dass die Piratenpartei in einer Piratenbewegung
    von außen empistemologisch vergewaltigt wird. Dazu,
    vermutlich durchaus von der staatlichen Ordnungspolitik
    zentral betrieben, durch eine dirigierte Personalpolitik,
    also mittels “U-Booten” gezielt “geimpft” worden ist (und wird?). Sodass diese Agenten innerhalb der Piraten dann frohgemut “selbsteuernd” kontrollieren und steuern können, was in der Piratenpartei und der Piratenbewegung geschieht oder verhindert wird.

    Kern des “Zersetzungsspiels” ist Selbsteuerung der Akteure (Piraten), die von Außen (Massenmedien) gerufen werden. Man hält Christopher Lauer ein Mikrofon hin, schaltet die Kamera ein, und “Engel bringt Gewünschtes” (was dann verbreitet wird, entscheidet der Redakteur). Aber nur diejenigen Antworten der Doofpiraten auf die Außenrufe werden zur öffentlichen Verbreitung ausgewählt und zur Prominenz hochgestilt, die der Entfaltung eines ernsthaften Piraten-Parteiaufbaus, mangels Urteilskraft und einem “schmerzbefreiten Online-Stil” der so ausgewählten Piraten-Prominenten, direkt dienlich sind. Denn diese überwiegend sehr jungen Piraten sind immer bereit, so ziemlich Alles zu vertreten, was ihrer Selbstinszenierung und persönlichen Begehrlichkeit entgegenkommt (Beispiele: Weisband, Lauer, Delius, Joachim Paul u. a.). Beispielsweise waren die genannten Piraten selbst bereits damit hervorgetreten, mit rechten Parolen innerhalb von Piratenauftritten “zu punkten” (Beispiel:Lauer BPT Bingen 2010; Maha/Martin Haase; Martin Delius u. a.) Dass genau diese Piraten mit “Rechtsradikalität, Judenhass und Volksverhetzung” den Piraten-Neumünster-Bundesparteitag 2012 bearbeitet haben, ist nicht überraschend gewesen.

    Parteiaufbau, Auswahl geeigneten Führungspersonals und Piratenführung werden damit über Internetz-Kommunikation (Liquid Feedback, ständiger Online-Parteitag usw.) vollkommen
    zur Verhinderung jeglicher Aufstellung genutzt und geführt. Folglich können allerdings wirklich basisdemokratische Integration sowie Ermittlung und Wahl geeigneter Stellvertreter der Piraten, innerhalb und außerhalb der Piratenwelt, keinesfalls erreicht werden.

    Schluss: Machiavelli lesen. Discorsi und Il Principe, Die Geschichte von Florenz (es geht bei Machiavelli immer um Republik). Und man versteht die Stadthalterei der deutschen Regierungen gegenüber dem “Westen”.
    Frohes Schaffen wünscht Ihnen
    Dietmar Moews

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