I. NRW-Wahl am 22.05.2005
26.05.2005
Eine
halbe Stunde TV-Programm bei der NRW-Landtagswahl am letzten Sonntag (22.5.).
Für die erste Anmerkung bedarf es keiner Screenshots: "Bonner
Runde" mit Thomas
Roth. In auffälliger Häufigkeit nähert sich die Gesprächskultur
- wie später am Abend auch in ein paar Minuten Sabine
Christiansen zu bemerken - dem Weißen Rauschen: 2, 3, 4 Stimmen
gleichzeitig (MP2-Audio-File,
251 KB). Eine nennenswerte Anzahl von Prozenten der Sendezeit ist
ein experimentalvokalistischer Dezibel-Contest, kein Austausch von Argumenten.

Tagesschau
- NRW-Wahl am 22.5.2005
Frank Plasberg / Bärbel Höhn
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ARD
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WDR-Journalist
Frank
Plasberg moderiert in der ARD-Tagesschau ein Gespräch mit Peer
Steinbrück und Bärbel
Höhn. Letztere fragt er: "Die Wähler in Nordrhein-Westfalen
wollten sie dezidiert nicht mehr, die Rot-Grünen. Heißt das,
ist das so'n Signal, dass Umweltschutz
nur was für gute Zeiten ist, wenn die Wirtschaft floriert, aber nicht,
wenn die Arbeitsplätze in Gefahr sind?" Frau Höhn erwehrt
sich mit einem Hinweis darauf, dass die wirtschaftsliberale FDP prozentual
bei der Wahl des meiste verloren habe, also diese Begründung nicht
stimmen könne.
Plasbergs Äußerung wird in einer hektischen Situation gemacht,
das kann man dem Journalisten nicht vorwerfen. So prägen sich aber
bestimmte Auffassungen beim Hörer ein, die hier unwidersprochen bleiben
- und bei der nächsten eiligen Gelegenheit in derselben Weise wiederholt
werden, bis die Vokabeln sitzen. Dass "Umweltschutz nur was für
gute Zeiten ist", wird hier zwar als eine Auffassung wiedergegeben,
die der Wähler haben könnte - es ist keine, die der Sprecher
formaljuristisch von sich aus suggeriert. Aber es ist die einzige Logik,
die hier zur Sprache kommt. Eine 'florierende Wirtschaft' - interessante
Metapher dafür, dass die kurzfristige wirtschaftliche Entwicklung
andererseits das Wohl der Pflanzen gleichgültig machen kann. In einer
solchen medialen Übermittlungsform (Antwort bitte in 0.30) wird nie
klargestellt werden können, dass "Wirtschaft" wohl nicht
nur heißen kann, dass man Umweltschutz nur dann bedenkt, wenn dabei
der Fortbestand wirtschaftlicher Funktionszusammenhänge in den nächsten
paar Jahren gesichert werden kann. Ökonomie heißt doch wohl
auch, dass es irgendwann noch eine lebensfähige Umwelt gibt, in der
florierende Fabrikhallen stehen. Hoffentlich gucken dieselben Leute, die
so etwas sehen, dann wenigstens auch Plasbergs ausführlichere Diskussionssendungen.
Das Ende des Spannungsbogens und der Beginn eines neuen: Der ARD-Tatort
schafft Abhilfe aus der verfahrenen politischen Situation. Inhalt: "Werbechef
Rolf Mading wird seit längerer Zeit von einem mysteriösen Fremden namens
Tozcec mit genialen Textideen und Vorschlägen zu seinen Kampagnen für
Politik und Wirtschaft beliefert. Doch die E-Mail-Einladung führt Mading
in den Tod." Wo der bittere Ernst nur noch mühsam mit Argumenten
und zeitlicher Muße besprochen werden kann, hilft die Fiktion, hier
mit dem Folgentitel "Nur ein Spiel" (D 2005, R: Manuel
Siebenmann).
 
Tatort
- Nur ein Spiel
D 2005. R: Manuel Siebenmann
|
ARD
mehr
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Als
Appetizer, der Drehbuchautoren in Stylesheets nahegelegt wird, sehen wir
eine junge Dame, die in einem Raum am Fenster telefoniert. Will you
please be upstanding for the bride? (Mehr zu Fenstern, Telefonen und
filmstreifenartigen Requisiten im bald auf filmdenken.de zu lesenden Essay
über Rainer Werner Fassbinder.)
Das ist die Modellierung der Zuschauerpsyche innerhalb von 30 Minuten
Hauptsendezeit: talking heads in der "Bonner Runde" (immerhin
nicht mit so zudringlicher Kamera wie bei Christiansen: permanenter Wechsel
von Einstellungsgrößen Halbnah / Großaufnahme, Gesichtsausschnitt
bildfüllend / Halbtotale); dann Info-Grafiken in der Tagesschau über
die Wahlergebnisse, zur Veranschaulichung des Unanschaulichen; dann wieder
Interview, schnell schnell, hin und her zwischen Plasbergs Halbprofil
und dem von Höhn, dann wieder die Totale des Raums, in dem sie stehen.
Nach dem Wetterbericht ist (nach 30 Min. "Bonner Runde" und
15 Min. Tagesschau) dann 90 Min. Zeit für einen Krimi aus der Feder
u.a. von Peter
Zingler, der zum Glück jetzt für die Leute schreibt, bei
denen er früher eingebrochen ist (Biografie).
Und die er für das Durchhalten in all dem Redestress mit einer Frau
im Drehbuch belohnt, die für genau die richtige Zeitdauer - um gesehen
zu werden, aber beim Weghuschen die Lust auf mehr zu wecken -, in
der Türöffnung neben der Holzsprossentür zu ihrer Veranda
verweilt. Auch das ist Politik.
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