III. Sonntag aus Licht
18.10.2005
Für Jessica M.
Ein Schuss zerreißt die nächtliche
Stille am unheimlichen Prägrand des Waldes. Das ist der Auftakt zu
einer atembelassenden Abfolge von Einbruch, Beinbruch, Entführung,
Inzest, Brudermord, ödipalen Vätern, gleichgesinnten Töchtern
und ihren hospitalisierten Müttern. "Der Alte" - Folge
253, D 2000, R: Hartmut Griesmayr.
Die
vier apokalyptischen Reiter Kress, Heymann, Richter und Riedmann finden
sich sogleich am Tatort ein und gießen sämigen Gips in die
noch morastigen Fußspuren dessen, der es war.
In einer der folgenden Einstellungen sehen wir sogleich den Täter
in Demutshaltung vor dem Vater (Karlheinz Hackl), der ein Psychiater ist.
Wir ahnen von der Schuld des Sohnes. Die Konstellation: Vater adoptiert
Mädchen (Stefanie Stappenbeck), deren Mutter (Kornelia Boje) in in
seiner forensischen Obhut vor sich hin katalepsiert. Des Mädchens
Bruder (Frank Stieren) - nennen wir ihn Bruder (n) - reift im Heim
zum Manne. Ihr vermeintlicher Bruder (1) (Robert Jarczyk) , d.h.
Stiefbruder, liebt sie und erfährt vom Vater ihre wahre Herkunft
und das Schicksal ihres wahren Bruders. Sprich: Sie ist für ihn (=1)
noch zu haben. Doch aber liebt sie einen anderen, von dem sie nicht weiß,
dass er ihr leiblicher Bruder ist. So henkt Bruder (1) den Bruder (n)
seiner Stiefschwester.
Es ist ein mythischer Maelstrom aus Ikonen des Weltschmerzes, der sich
hier - katachretisch - in Kataklysmen ergießt. Der Bruder begehrt
den Platz des Liebhabers, die Schwester liebt den Bruder, in dem sie zurecht
den idealen Gatten zu sehen glaubt - denn er ist Fleisch von ihrem Fleisch
und Bein von ihrem Bein, und er nimmt Geld von anderer Leuts Geld auf
Diebestouren an der Seite hierin erfahrener polnischer Einwanderer, die
der labeling approach auf die telegen schiefe Bahn schliddern ließ
- einmal Schwarzarbeiter, immer Schwerverbrecher. So meint auch eine andere
Schwester (Maria Bachmann) - die eines verletzten Langfingers, der einen
Unterschenkel einbüßt, als er vom Balkone plumpst.
Es ist eine Pietà in moll, in der der sorgende Richter (Pierre
Sanoussi-Bliss), bevor er im Büro verzweifelt eine Coladose leert,
sich des geplumpsten Engels annimmt. Leszek (Janusz Cichocki) ist nun
alles egal. Doch die minutenlange Elegie aus dem Krankenzimmer rechtfertigt
sich allein schon durch das den Bildkader im goldenen Schnitt durchtrennende
Elektrokabel, das somit ins Jenseits des Bildes verweist, zwischen Himmel
und Erde vermittelt (Abb.1).

2 Der
Alte - Die Schwester
D 2000. R: Harmut Griesmayr
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ZDF
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Das traurige
Ende vom Anfang ist, dass Bruder (1) Bruder (n) mit seiner Schusswaffe
subtrahiert, woraus sich informationstheoretisch herleitet:
(n)-(1)=-(n)
Hieraus die Wurzel zu ziehen, würde keinen Sinn machen.
So oder ähnlich algebraisiert womöglich Kommissar Kress' (Rolf
Schimpf) Hirn. Dies ist untrüglich ablesbar an den subliminal ins
Bild geschmuggelten Lichtschaltern neben Kress' Cäsarenhaupt (Abb.2).

2 Der
Alte - Die Schwester
D 2000. R: Harmut Griesmayr
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ZDF
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Die
Dodekaphonie detektivischer Deduktion kommt in dieser Episode etwas zu
kurz. Wir sehen, dass wir es mit einem Drehbuch (Adolf Schröder)
des "Jedoch", des "Vielleicht", des "Aber"
und des "Also" zu tun haben, all diese Kategorien unausgesprochen
implizit repetitiv verwirklicht.
Die Schicksalsfäden wirren sich dem
Ende zu. Denn sind wir alle nicht maßlose Früchte eines ursprünglichen
Inzests? Als "unsterbliche Amphibien" (Fritz Göttler) dümpeln
wir weiteren lehrreichen Stunden mit dem "Alten" entgegen.
Die nun vergangene Hore erwies sich auch als ein hinreißendes Plädoyer
für die Ein-Kind-Politik, die nicht zu Unrecht auf den Mainzel Tagen
der Felnsehklitik euphorisch akklamiert wurde.
Michael
Böhnke / Daniel Hermsdorf
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"Der Alte" - Anatomie einer Serie
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