Saltos in der Salatschüssel
Gottschalk beweist mit Bohlens
Wahrheit das System Theorie
Was
geschieht, wenn ein TV-Heroe through the looking glass ins Diesseits
schlüpft? Entsteht Neues, wenn der Herrscher des Samstagabendprogramms
aus der Böblinger Stadthalle in einen Hörsaal der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität
übersetzt?
Eine Wettschuld trieb Thomas Gottschalk um, einen Bestseller (Dieter Bohlen,
"Die ganze Wahrheit") trug er am 7. November 2002 unter dem Arm, und seine
Mission war vielleicht unbewusst. Dennoch war sie deutlich ablesbar an
den Hieroglyphen der televisuellen Aufzeichnungen des Auftritts eines
Entertainers vor der Studentenschaft beim Nachrichtensender N24.
"Die Realität der Massenmedien" hat Niklas Luhmann eines seiner Bücher
genannt. In Düsseldorf wurde nun der massenhaft begaffte Schalk Wirklichkeit
und drehte und wendete nolens volens die systemtheoretische Weisheit,
was das "Zeug" (Martin Heidegger) zu halten vermochte.
Massenmedien, da ist sich die ZDF-Locke mit Luhmann expressis verbis
einig, sind nicht Realität, sondern eine Konstruktion derselben: "Pierce
Brosnan seh ich beim Pizzaessen dreimal in der Woche. Aber der kommt halt
doch nur, wenn eine Filmfirma einen Film rausgibt und wenn eine Autofirma
sagt, wir zahlen den Flug, weil er mit dem Auto in dem Film rumfährt."
Es sind aber eben nicht Sänger und Gummibärchen, die dem Wetter in der
Uni gegenüber sitzen. Es sind langhaarige Studenten mit haarigen Problemen.
Nicht nur bei Gottschalks Lesung ist die Uni zu eng, so weiß einer von
ihnen. Er möchte die Gelegenheit nutzen, auf die Auslosung von raren Plätzen
in Seminaren hinzuweisen, die ein schnelles und planbares Studium erschwere.
Die Antwort: "Ich versuche, ehrlich zu bleiben. Es hat keinen Sinn, dass
ich hier eine tiefe Sorge um die Studenten in Düsseldorf heuchle, die
mir in zwei Stunden wieder wurscht sind, weil ich überlege, ob Bon Jovi
vielleicht doch nicht kommt. Das ist meine Wirklichkeit."
Der Moderator meint hier nichts anderes als Luhmanns "operative Schließung":
"Erst damit kommt es zu einer operativen Schließung mit der Folge, daß
das System die eigenen Operationen aus sich heraus reproduziert, sie nicht
mehr zur Herstellung von Kontakten mit der gesellschaftsinternen Umwelt
verwendet, sondern sich statt dessen an der systemeigenen Unterscheidung
von Selbstreferenz und Fremdreferenz orientiert. Das System ist, trotz
riesiger Speicherkapazitäten, eingestellt auf schnelles Erinnern und Vergessen."
This is a song for the broken-hearted…
Hoffen, dass Gottschalk doch ein bisschen irritiert war? Denn: "Relevante
Umweltereignisse können ausschließlich systemintern registriert werden
und dort Strukturänderungen hervorrufen. Diesen Vorgang nennt man Irritation."
Hier hat sich also, angesichts Gottschalks, Luhmann im Prinzip Ernst
Bloch genähert.
Ganz entgegen jeder Hoffnung steuert das universitäre System auf Studiengebühren
zu. 20 Stunden später erzählt in der ARD Adolf Hitlers
Sekretärin Traudl Junge, wie sie aufgrund des Schuldgelds
nach der zehnten Klasse vom Lyceum gehen musste. Nach dem Krieg erfährt
sie von der Hinrichtung der Studentin Sophie Scholl, die zeitgleich mit
ihrer Einstellung als Sekretärin des Führers geschieht. "Und
in dem Moment hab ich eigentlich gespürt, dass das keine Entschuldigung
ist, dass man jung ist, sondern man auch hätte vielleicht Dinge erfahren
können." - "Das System ist, trotz riesiger Speicherkapazitäten, eingestellt
auf schnelles Erinnern und Vergessen."
Oder handelt es sich auch innerhalb des Programmschemas um die operative
Schließung, durch die der Showmaster bei seinen Kandidaten bleibt? Das
geht nicht immer so glatt: "Ich habe aufgehört, mir die Tagesschau anzugucken,
wenn ich am Samstag um 20 Uhr 15 Sendung hab. Wenn Du ne Viertelstunde
die Nachrichten siehst, dann sagst Du: Und jetzt soll ich hier rausgehen
und den Leuten sagen, bei mir kommt einer, der kann einen Salto in der
Salatschüssel. Da prallt es eben aufeinander. Aber in der Süddeutschen
ist auch unter einem Artikel über Afghanistan ne Werbung für Davidoff-Parfüm,
auf das die Welt verzichten kann."
Zwei Fragen ergeben sich hier:
1) Ist Luhmanns Theorie somit eine bloße Beschreibung des Status Quo -
you're in the army now - den Gottschalk ja emphatisch zu begrüßen
pflegt ("Here we go with Status Quo!")?
2) Ist das Ladenschlussgesetz etwa auch operativ?
Antworten bitte an: Daniel Hermsdorf
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