November 2002

Saltos in der Salatschüssel

Gottschalk beweist mit Bohlens Wahrheit das System Theorie

 

Was geschieht, wenn ein TV-Heroe through the looking glass ins Diesseits schlüpft? Entsteht Neues, wenn der Herrscher des Samstagabendprogramms aus der Böblinger Stadthalle in einen Hörsaal der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität übersetzt?
Eine Wettschuld trieb Thomas Gottschalk um, einen Bestseller (Dieter Bohlen, "Die ganze Wahrheit") trug er am 7. November 2002 unter dem Arm, und seine Mission war vielleicht unbewusst. Dennoch war sie deutlich ablesbar an den Hieroglyphen der televisuellen Aufzeichnungen des Auftritts eines Entertainers vor der Studentenschaft beim Nachrichtensender N24.
"Die Realität der Massenmedien" hat Niklas Luhmann eines seiner Bücher genannt. In Düsseldorf wurde nun der massenhaft begaffte Schalk Wirklichkeit und drehte und wendete nolens volens die systemtheoretische Weisheit, was das "Zeug" (Martin Heidegger) zu halten vermochte. Massenmedien, da ist sich die ZDF-Locke mit Luhmann expressis verbis einig, sind nicht Realität, sondern eine Konstruktion derselben: "Pierce Brosnan seh ich beim Pizzaessen dreimal in der Woche. Aber der kommt halt doch nur, wenn eine Filmfirma einen Film rausgibt und wenn eine Autofirma sagt, wir zahlen den Flug, weil er mit dem Auto in dem Film rumfährt."
Es sind aber eben nicht Sänger und Gummibärchen, die dem Wetter in der Uni gegenüber sitzen. Es sind langhaarige Studenten mit haarigen Problemen.
Nicht nur bei Gottschalks Lesung ist die Uni zu eng, so weiß einer von ihnen. Er möchte die Gelegenheit nutzen, auf die Auslosung von raren Plätzen in Seminaren hinzuweisen, die ein schnelles und planbares Studium erschwere. Die Antwort: "Ich versuche, ehrlich zu bleiben. Es hat keinen Sinn, dass ich hier eine tiefe Sorge um die Studenten in Düsseldorf heuchle, die mir in zwei Stunden wieder wurscht sind, weil ich überlege, ob Bon Jovi vielleicht doch nicht kommt. Das ist meine Wirklichkeit."
Der Moderator meint hier nichts anderes als Luhmanns "operative Schließung": "Erst damit kommt es zu einer operativen Schließung mit der Folge, daß das System die eigenen Operationen aus sich heraus reproduziert, sie nicht mehr zur Herstellung von Kontakten mit der gesellschaftsinternen Umwelt verwendet, sondern sich statt dessen an der systemeigenen Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz orientiert. Das System ist, trotz riesiger Speicherkapazitäten, eingestellt auf schnelles Erinnern und Vergessen." This is a song for the broken-hearted…
Hoffen, dass Gottschalk doch ein bisschen irritiert war? Denn: "Relevante Umweltereignisse können ausschließlich systemintern registriert werden und dort Strukturänderungen hervorrufen. Diesen Vorgang nennt man Irritation." Hier hat sich also, angesichts Gottschalks, Luhmann im Prinzip Ernst Bloch genähert.
Ganz entgegen jeder Hoffnung steuert das universitäre System auf Studiengebühren zu. 20 Stunden später erzählt in der ARD Adolf Hitlers Sekretärin Traudl Junge, wie sie aufgrund des Schuldgelds nach der zehnten Klasse vom Lyceum gehen musste. Nach dem Krieg erfährt sie von der Hinrichtung der Studentin Sophie Scholl, die zeitgleich mit ihrer Einstellung als Sekretärin des Führers geschieht. "Und in dem Moment hab ich eigentlich gespürt, dass das keine Entschuldigung ist, dass man jung ist, sondern man auch hätte vielleicht Dinge erfahren können." - "Das System ist, trotz riesiger Speicherkapazitäten, eingestellt auf schnelles Erinnern und Vergessen."
Oder handelt es sich auch innerhalb des Programmschemas um die operative Schließung, durch die der Showmaster bei seinen Kandidaten bleibt? Das geht nicht immer so glatt: "Ich habe aufgehört, mir die Tagesschau anzugucken, wenn ich am Samstag um 20 Uhr 15 Sendung hab. Wenn Du ne Viertelstunde die Nachrichten siehst, dann sagst Du: Und jetzt soll ich hier rausgehen und den Leuten sagen, bei mir kommt einer, der kann einen Salto in der Salatschüssel. Da prallt es eben aufeinander. Aber in der Süddeutschen ist auch unter einem Artikel über Afghanistan ne Werbung für Davidoff-Parfüm, auf das die Welt verzichten kann."

Zwei Fragen ergeben sich hier:
1) Ist Luhmanns Theorie somit eine bloße Beschreibung des Status Quo - you're in the army now - den Gottschalk ja emphatisch zu begrüßen pflegt ("Here we go with Status Quo!")?
2) Ist das Ladenschlussgesetz etwa auch operativ?

Antworten bitte an: Daniel Hermsdorf