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Quo vadis, Politik? Ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen könnte Schule
machen
Gute alte Tante RAU
Bleibt alles anders: 1900 heißt bald 2000, richtiges Geld weicht
Multikulti-Peseten, und nach bewegter Geschichte häutet sich nun auch
die SPD. "An den drei Buchstaben halten wir fest", so Wolfgang Clement,
"wir nehmen nur einfach andere." Der Schalk blitzt in den Augen des
neuen NRW-Paten, eine Kippe hüpft lustig in seinem Mundwinkel, wie immer
raucht er sie in einem Zug bis zur Filterperforation - vielleicht die
einzige Schwäche des gewitzten Seiteneinsteigers. Kalkuliert hat Clement
einen idyllischen Abschnitt der Ruhr für unseren Spaziergang gewählt.
Eine pittoreske "Bude" und davor ein munteres Grüppchen Arbeitsloser,
die eine Jägermeisterflasche kreisen lassen, erinnern an die
Pioniertaten der echten "Malocher" auf dem "Pütt". "Die schulen wir auch
noch auf Multimedia um", preßt Clement optimistisch hervor. Sogleich
sind wir beide ein wenig berauscht von den Zukunftsaussichten. Ich
verstehe nicht alles, was er sagt, aber sein Optimismus steckt an.
Der Namenswechsel - bloßer Etikettenschwindel? "Nein", versetzt Clement,
"die RAU wird neue Akzente setzen. Sehen Sie mal, jahrzehntelang konnten
Sie ohne SPD-Parteibuch hier in NRW nicht einmal Hausmeister werden.
Jetzt heißt Ihr Ticket eben ,RAU-Parteibuch'. Auch neu ist unsere AG
,Korrupte Asis': Sozialhilfe werden in Zukunft nur noch RAU-Mitglieder
erhalten, und wenn sie später in der Medienbranche Fuß gefaßt haben,
können wir auch gleich viel leichter die öffentliche Meinung
manipulieren." Ein Treffen mit Wolfgang Clement ist eben immer auch eine
Schule des strategischen Denkens.
"Die alte Tante RAU", wie die RAU sicherlich etwas verfrüht parteiintern
genannt wird, folgt unbeirrt der Trasse des Erfolgs.
Wir sind mittlerweile im "Taubenjupp" angelangt, Clements
Lieblingskneipe. Hier kennt er alle Gäste - vom Videothekar bis zur
Raumpflegerin. Nur als der Kneipenwirt ihm das Telefon reicht, wird
Clements Miene ernster. Immer öfter wird er in letzter Zeit angerufen,
und meist ist es der Namenspatron der erneuerten Partei. "Der Johannes
kümmert sich um alles. Er möchte einfach nicht, daß noch wer das alte
Briefpapier benutzt. In der Baracke gab es letztens sogar echt Streit,
als Oskar immer wieder mit Fistelstimme "EsPeDee, EsPeDeee" sang, nur um
Johannes zu ärgern. Irgendwann platzte dem Johannes der Kragen, und er
schrie bloß noch: RAUS! RAUS! RAUS! Oskar und ich haben erst später
verstanden, wie recht er hatte - natürlich war es Raus Tür. Am Abend
haben wir uns dann aber wieder vertragen. Bevor wir am Wochenende nach
Hause fahren, spielen wir jetzt immer ein Kartenspiel, das dem Johannes
eingefallen ist. 32 Karten, alle mit ihm selbst drauf. Reihum wird
abgelegt, und wer gewinnt, entscheidet sich dadurch, wer anfängt."
Clement lächelt gewinnend. "Mogeln kann man beim Rau-Rau also nicht -
ein ehrliches Spiel, eine ehrliche Partei." Eine Nachwuchsagentur im
Kölner Mediapark arbeitet bereits an einer interaktiven PC-Version des
Spiels "für alle von 8 bis Rau".
Irgendwie ist dieses Kraftpaket Clement nicht mehr aus der Politik in
NRW wegzudenken. Beim Abschied vor dem "Taubenjupp" überreicht mir
Clement eine kleine vorbereitete Schatulle. Ein hübscher Anstecker, eine
Telefonkarte mit Förderturm und eine Demo-CD von "Rau-Rau" in einer
Gag-Verpackung aus Bibelpapier.
Einen Schuß Religiosität hat auch der Dynamo Clement im Lauf der Zeit
von seinem Vorgänger mitbekommen. Mit einem lockeren Spruch schlägt er
ein Kreuz in die Luft, und als die Kameraleute zusammengepackt haben,
verrät mir Clement, daß die Mädels und Jungs sein privates MAZ- Team
sind. Der Liebling der Mediengötter läßt sich ein elektronisches
Tagebuch führen. "Irgendwann, wenn alles automatisch läuft, werden die
Leute sogar Zeit haben, sich mein ganzes Leben anzusehen. Nur die
REM-Phasen schneiden wir raus."
Ich werde jedenfalls reinschalten, wenn Anfang nächsten Jahres ClemenTV
auf Sendung geht. "Glitter, Clement, früh in Rente", haucht er mir zum
Abschied ins Ohr. Plötzlich weiß ich, daß ich nicht allein bin auf der
Welt. Da sind Clement - und all die anderen.
Daniel Hermsdorf & Benjamin Heßler
taz Nr. 5541 vom 27.5.1998 Seite 20 Die Wahrheit 133 Zeilen
TAZ-Bericht D.Hermsdorf / B.Heßler
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