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Die schöne bunte Welt der Klone (3): Ist Politik Pop, oder ist es
umgekehrt?
Mutter Gottes, Papa Gorny, ewiger Walter Jens
Im letzten Teil unserer kleinen Reihe zum Für und Wider der wichtigsten
Technologie des 21. Jahrhunderts wollen wir uns einem weiteren Bereich
zuwenden, den die Klonforschung fundamental verändert hat - die
Poplitik.
Seit Dieter Gorny 2018 Bundeskanzler wurde, hat sich jener Prozeß
verselbständigt, der als Popisierung in die Annalen einging und die
Politik wie das soziale Leben einer Verschmelzung mit kulturell
anerkannten Strömungen wie Pop- ("E"-)Musik und Post-Guitar- Style
unterzog.
Doch auch die Möglichkeit, sich für die eigene Fortpflanzung den Genotyp
des Idols herunterzuladen, hat gravierende soziologische Negativ-Peaks
zur Folge: Laut einer Prognose des Bundesamtes für
Bevölkerungsentwicklung werden im Jahr 2040 gut 60 Prozent der Frauen
Madonna sein. Aufgrund der hohen Akzeptanz dieser Ikone des ausgehenden
20. Jahrhunderts bei Männern wie Frauen entscheiden sich immer mehr
Eltern für Madonnas Erbgut als Matrix ihres Nachwuchses, so
Pressesprecher Gustl Stammbäumler. Die soziale Integration sei oft
schwierig. ",Holiday' müssen sie alle mal komponieren, und deshalb
werden nicht wenige unter ihnen von Gleichaltrigen zersägt und
aufgegessen. Und das, obwohl wir ohnehin zuwenig Volkspower haben,
zahlenmäßig", klagt Stammbäumler. Auch die Sozialisationsvariante
"Madonna frigida", eine religiös- introvertierte Spielart der begehrten
Doppelhelix, trägt mit ihrer klösterlichen Lebensweise nicht zur Mehrung
der einheimischen Landesbevölkerung bei.
Die Opposition begehrte in diesem Zusammenhang erneut gegen SPD-Kanzler
Gorny auf. Er habe schließlich mit seinen Viva-Musiksendern in den 90er
Jahren des vergangenen Jahrhunderts entscheidend zur Geschmacksbildung
beigetragen. Gorny wehrt sich: Damit habe er nichts zu tun.
An den Eingängen von Discotheken ist Gornys geistiges Erbe jedoch schon
körperlich spürbar: Dutzende Madonnas bitten um Einlaß, doch viele
Lokalbesitzer achten mittlerweile auf die Quote. "Mehr als vierzig
Prozent Madonnas, das geht nicht", so Heidemarie Breetz, Besitzerin des
"Clone's Inn" in Hamburg. Auch Stammgast Peter meint: "Die sehen doch
alle gleich aus." Walter Jens, der erste unsterbliche Mensch dank der
Immortalitätspille EL 3000, äußerte sich ebenfalls kritisch. "Früher gab
es nur eine Madonna, heute sehr viele. Horaz war es wohl, der erkannte:
Zuviel ist zuviel!" Sein eruptives irres Lachen ist ihm in all den
Jahren nicht verlorengegangen.
In seiner Freitagsausgabe berichtet SpiegelPlus, auch Gorny und seine
Frau Clothilde, ein Sabrina-Setlur-Klon, wollten eine Madonna, nachdem
ihnen ein adoptiertes Michael-Jackson-Pärchen durchgebrannt ist - obwohl
die beiden einmal ihre Villa in einem Berliner Vorort kurz vor Hamburg
erben sollten, wie Clothilde Gorny betont. "Madonna als Tochter könnte
ich mir unheimlich gut vorstellen", verrät die Kanzlergattin, bevor sie
plötzlich singt. Doch daran stört sich hier keiner mehr. Dann entkleidet
sie sich.
Kanzler Gorny, der von Beginn seiner Amtszeit an mit den Gerüchten um
seine Affären mit 34 Viva-PraktikantInnen zu kämpfen hat, ist die
Madonna-Debatte Fluch und Segen zugleich: "Einerseits lenkt es natürlich
von meinem Skandal ab, andererseits stehe ich als ehemaliger Viva-Chef
natürlich voll im Kreuzfeuer, also echt." Vor der verlängerten
Sommerpause will Gorny aber noch die Zahl der Arbeitslosen reduzieren.
Im Brustton der Überzeugung versetzt der 65jährige: "Die Zukunft ist die
Rapsölindustrie und alles, was man aus Raps machen kann!"
Grünen-Patriarch Fischer, der mittlerweile drei seiner zehn Kinder im
Bundestag über Direktmandate etabliert hat, ließ in der vergangenen
Woche noch einmal die Hanfdebatte aufleben - er selbst trage Schuhe aus
diesem Material, auch könne man Stoßdämpfer für Autos daraus fertigen,
sofern im nächsten Jahr nicht der Individualverkehr untersagt werde.
Unterstützt wurde Fischer von seinem ungeklonten Sohn und Parteigenossen
Mick: "Was Pop sagt, ist meistens pop." Seine Sonnebrille rutscht ihm
bis zur Nasenspitze, als er vom Redepodium des Bundestages gleitet. Mick
ist auf der neuen Modedroge Superdata. In seinem Gehirn entstehen
wundersame Gedanken, ohne daß er sie verbalisieren könnte.
Seit im letzten Jahr Gerhard Schröder von einem unachtsamen Fahrer der
VW-S-Klasse aus dem Leben gerissen wurde, hat sich die politische
Landschaft in Deutschland verändert. Verschwunden sind die großen
Gesten, mit denen Schröder etwa im Jahr 2008 die Notop
fer-Berlin-Briefmarke präsentierte. Auch sein souveränder Umgang mit den
sich jährlich steigernden Hochwasserkatastrophen im Oderbruch wird in
Erinnerung bleiben.
Wie dieser Tage häufig bemerkt wird, kann man die Lage unserer
Gesellschaft so oder so sehen. Wenn die Poplitik sich nicht endlich
wieder auf Pop und Politik besinnt, müssen wir uns sicherlich einige
Gedanken machen. Nur eines steht fest: Wir werden in Zukunft noch
weniger als bisher überrascht sein.
Daniel Hermsdorf, Benjamin Heßler
Montage: augenfall
taz Nr. 5642 vom 23.9.1998 Seite 20 Die Wahrheit 163 Zeilen
TAZ-Bericht D.Hermsdorf / B.Heßler
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