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Die schöne bunte Welt der Klone (Teil 2)
Mit Replikanten zum Lernziel Bildung
"Das hast du schön gemacht, Rita." Fürsorglich beugt sich
Grundschullehrerin Mechthild Reimann über die kleine Schülerin, die seit
zwei Wochen am Klonunterricht teilnimmt. "Willst du jetzt nicht mal
einen Zebrafant klonen? Oder einen Power-Ranger? Nimm mal die Pipette!"
Die Kleinen machen schnell Fortschritte. "Am Anfang kommen als
Endergebnis noch ganz schön wilde Sachen raus", räumt die engagierte
Pädagogin ein. Dennoch ist der Klonunterricht aus dem Lehrplan nicht
mehr wegzudenken.
Szenen wie diese sind in deutschen Schulen bereits Alltag. Und das ist
gut so. Unsere Welt ist vielfältiger geworden seit der Einführung der
allgemeinen Klonierung. Hat also der Mensch gehalten, was die Tomate
einst versprach? Gerade für die Lehre eröffnet die Gentechnik
überraschende Perspektiven. Die Universität Heidelberg beherbergt
mittlerweile einen ansehnlichen Fundus von Geistesgrößen. "Wenn man
Klone nicht so unproblematisch bis zur nächsten Vorlesung einfrieren
könnte, hätten wir ein akutes Platzproblem", so Rektor Hans Werner
Carrire. "Wir sind dazu übergegangen, die historischen Figuren für
Blockseminare nur noch anzutauen. Energiesparen ist die Devise."
Als besonders ergiebig hat sich der literaturwissenschaftliche Zweig der
Klonsammlung erwiesen. "Thomas Mann labert wie ein Wasserfall, da
braucht man eigentlich als Aufsichtsperson nur darauf zu achten, daß die
Studenten während der Vorlesung keinen Mist machen, aufdringlich in
Werken seines Bruders Heinrich lesen oder Witze über seine
Wichsgewohnheiten reißen, die ja im Tagebuch überliefert sind. Blöd ist
auch, wenn Studenten den Raum mit der Ankündigung verlassen, sie wollten
,bloß ein bißchen Golo spielen'. Da kann er gar nicht drauf."
Aus dem Lesbenreferat dieser Hochburg des Geistes ist Gertrude Stein
mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Bei den Meteorologen ist ihr so
dahingesagtes Bonmot "Eine Prognose ist eine Prognose..." längst
sprichwörtlich geworden, und in der Krabbelgruppe sind ihre Kinderreime
ein Hit.
Der stille Star der Fakultät ist jedoch unbestritten Friedrich
Nietzsche, dessen These von der ewigen Wiederkehr heute kaum jemand
bestreiten mag. "Fritze" hat's allen gezeigt. Sagenhaft auch seine
Berichte in Fragestunden mit StudentInnen: Gemeinsam mit einem
Gynäkologenteam erzählt er begeistert von der Geburt der Tragödie, die
in Wirklichkeit ein Kaiserschnitt war. Gemeinsam besucht man Tragödie
anschließend in der Krabbelgruppe. "Seine Freizeit", so Carrire,
"verbringt Fritze vollständig auf dem Bolzplatz und übt den
Fallrückzieher. Es finden sich immer zahlreiche StudentInnen, die ihn
anfeuern." Sicherlich ein positives, ein beruhigendes Beispiel. Doch
auch hier ist Klobbing kein unbekanntes Phänomen.
"Studenten können sehr grausam sein", muß der Rektor einräumen.
"Einstein zum Beispiel wird auf dem Gang gern die Zunge rausgestreckt."
Auch die Klone untereinander sind sich nicht immer grün. Schopenhauer
wurde dabei ertappt, wie er Nietzsche absichtlich schlechte Laune
machte. Der neidische Goethe verschüttet schon mal Kaffee über
Shakespeares Manuskripte, und der fette Bach bringt Beethoven regelmäßig
auf die Palme, indem er mit ihm zu sprechen vorgibt, jedoch nur die
Lippen bewegt.
Auch die ganz alten Meister, die Godfathers Of Thought, sind auf dem
Heidelberger Campus gut vertreten. Plato, den man heute vor allem aus
der Handywerbung kennt ("DialOgue!"), resümiert seine Erfahrung als
Klon: "Is' schon geil, gar keine Frage", sagt er und dreht den Schirm
seiner Baseballkappe nach hinten. Homer, der ebenfalls ein Kühlfach in
Heidelberg besitzt, weilt gerade in den USA, wo er die Dreharbeiten zu
seiner Odyssee III ("The Cyclops Strikes Back") unter der Regie eines
der Spielberg-"Brüder" überwacht. Nebenan verfilmt Joseph Cameron das
20. Jahrhundert. Titel: "Days Of Being Different".
Längst sind die Kritiker verstummt, die befürchteten, Husserl könnte
noch einmal seine "Ideen zu einer reinen Phänomenologie und
phänomenologischen Philosophie. Erster Band" schreiben. "Und Norbert
Elias erst mal", hatten die Rezensenten damals ob der ihnen drohenden
Lektüre geunkt. In Wirklichkeit jedoch haben Diderot & Co. unsere
intellektuelle Szene ganz schön aufgemischt. Lassen wir uns also auch in
Zukunft überraschen.
Daniel Hermsdorf, Benjamin Heßler
Montage: augenfall
taz Nr. 5641 vom 22.9.1998 Seite 20 Die Wahrheit 138 Zeilen
Kommentar D.Hermsdorf / B.Heßler
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