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Bildeschatologie
In einer hochgradig visuell basierten Kultur kommen mit der Vermassung von Bilddaten und dem veränderten Umgang mit diesen mittel- bis
langfristig Fragen nach der Endlichkeit auf: Wer kann und sollte in welchem Zeitraum wieviel wahrnehmen? In welcher Beziehung stehen aktuelle
(Bild-)Ereignisse zu historisch vorgängigen? Wie ist der Status von Bildern als Ab-Bildungen von Vergangenem
im Verhältnis zu einer limitierten lebendigen Gegenwart zu definieren?
Die in Kulturwissenschaften und Feuilletons seit den 1990er Jahren verbreitete Rede von einem „Posthistoire“ wird
sich auf Dauer der eigenen Geschichtlichkeit nicht erwehren können. (Die methodischen und sprachlichen Denk- bis Fragwürdigkeiten betreffender
Diskurse seien hier zunächst ausgeklammert, können aber Gegenstand einer spezifischen Revision werden.) Das immense Anwachsen der Tradition
bzw. der speicherbaren kulturellen Zeugnisse stellt neben praktischen und ökonomischen Anforderungen auch solche eines veränderten
wissenschaftlichen Instrumentariums, wie es zunächst als Veränderung einzelner kultureller Praxen und individueller Verhaltensweisen
im Umgang mit kulturellen Zeichen beobachtbar wird.
Das ‚Bild nach dem Bild‘ ist in zahlreichen rhetorischen Varianten eine Fortsetzung genuin moderner (nicht
„postmoderner“ – was immer die Frage nach sich zieht, was dies ‚bedeutet‘) Fragestellungen nach der Selbst-Bewusstheit, Selbstreflexion
und Selbstreferenz von Zeichen und ihrer Urheber (diese als menschliche Individuen vorausgesetzt und nicht als ‚tote Autoren‘, wer oder was
auch immer solche wären). Fragen nach der Abbildlichkeit, dem Bedeutungsgehalt und der sozialen Funktion von Zeichen und Bildern sind
nie ‚erledigt‘, solange (oder sobald) Gesellschaften sich den Luxus leisten, über die einmal gewonnene kulturelle Kompetenz theoretisch
nachzusinnen. Unter Einbeziehung der zuvor entwickelten Begriffe und Kriterien können Diskurse und schließlich wieder Praxen des Bildes
befragt und modifiziert werden – im Hinblick auf den aktuellen Status der Bilder in ihrer Tradition und ihren neuen medialen
Distributions- und Aufbewahrungsformen.
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