Ein Brief an die Verschwörungsforscher

Am 11.-13.09.2016 fand die Tagung “Eine Welt voller Verschwörungen? Verschwörungs­theorien und -ideologien im Spiegel deutschsprachiger Forschung” der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem Verein “Wissensdurst” statt. Ich erhielt glücklicherweise noch einen Tip – sonst hätte ich sie nicht bemerkt. Hier dokumentiere ich meinen Rundbrief, den ich im Anschluss an die Teilnehmer verschickte, mit denen ich mehrheitlich auch ins persönliche Gespräch gekommen war.

Ich schließe hier im Blog gleich noch kurze Kommentare zu Videos von den Vorträgen an, die so für die Öffentlichkeit in der Mehrheit auf YouTube dokumentiert sind.


Liebe Tagungsteilnehmer,

nach unserer Begegnung bei „Eine Welt voller Verschwörungen“ möchte ich meinerseits den Faden nicht ganz abreißen lassen. Bevor ich einzelne von Euch, mit denen ich auch persönlich gesprochen habe, individuell anmaile, möchte ich Euch hier noch ein paar Worte schreiben, die prinzipiell eben an alle gehen.

Sehr schade fand ich, dass es keine Abschlussdiskussion gab. Ich nehme so etwas nun seit vielen Jahren wahr – im Kontrast mit Gesprächen, die ich sonst führe. Wissenschafliche Öffentlichkeit ist allzu oft auf ein sehr verkürztes Frage-Antwort-Spiel eingedampft.

Zusammenfassend möchte ich Euch gerne Folgendes zu bedenken geben – take it or leave it. Ich spreche aus der Position eines wissenschaftlichen Außenseiters. Wer aber derzeit über Verschwörungstheorie publiziert, sollte eigentlich um mein „Okkultsymbolik und Machtpolitik“ nicht herumkommen; es ist das Einzige von diesem Zuschnitt. Und in ihm ist manches ausgearbeitet, was ich nur in wenigen Punkten hier nochmal andeuten möchte. (Weiteres soll in Kürze in Buchform folgen. Es wird dabei um fortgesetzte Ordnungen und Klassifizierungen eines größeren Feldes von Argumenten und Aussagen gehen.)

Schon angesprochen hatte ich, glaube ich, dass ich dringend zu einer Kategorisierung rate, die wenigstens vorläufig erkennbar unbewiesene bis fantastische Sujets von sachbezogenen und teilweise schon konsensfähigen „Verschwörungstheorien“ trennt. (Ich bemerke diese fatale Mischung gerade wieder in Berichten vom Kopp-Kongress. Sie dient ihrerseits der Desinformation.)

Deshalb möchte ich vorab nur einen konkreten Nexus benennen, der mit meiner Konfliktsituation mit Jan Rathje (Amadeu Antonio Stiftung) während der Tagung bzgl. ‚antisemitischer Vorurteile‘ zu tun hat: Der von mir beobachtete Kenntnisstand auch im wissenschaftlichen Bereich zu einigen gut dokumentierten historischen Begebenheiten und Personalien ist leider oft mangelhaft. Ich nenne nur ein paar Suchbegriffe: Jacob Schiff; Kuhn, Loeb & Co.; Paul Warburg; Federal Reserve; Council on Foreign Relations.

Falls Euch diese historischen Hintergründe bekannt sind, könnt Ihr ja gleich ans Ende zu meinen allgemeinen Punkten springen.


Der Schritt zu sog. „Verschwörungstheorie“ ist dann jener, dass Jacob Schiff der Sohn eines Rothschild-Bankiers war, der mit den Rothschilds in einer Frankfurter Kommune lebte. Woher Jacob Schiff Verbindungen und Kapital genommen haben soll, um 1875 bei Kuhn, Loeb & Co. an der Wall Street einzusteigen, ohne dass Rothschilds involviert gewesen wären, ist zweifelhaft. Die ebenfalls mit Rothschilds verbundenen Warburgs entsandten um 1900 zwei ihrer Söhne zu Kuhn, Loeb. Die geschäftlichen Verbindungen wurden durch Heiraten besiegelt. Die Technik der Rothschilds, die USA nicht mehr mit Familienmitgliedern, sondern mit Strohleuten zu infiltrieren, wurde zeitgenössisch schon in Fällen wie August Belmont publik. Eine solche strategische Notwendigkeit der Geheimhaltung ergab sich aus der damals hohen öffentlichen Aufmerksamkeit für die Umtriebe des Bankhauses.

Aus dieser Keimzelle ging dann Paul Warburgs Programmatik für das heute noch bestehende (und täglich im Mainstream auch schärfstens kritisierte) Federal Reserve System hervor – zunächst bei einem Geheimtreffen auf Jekyll Island besprochen. Paul Warburg gehörte zu den Gründern des Council on Foreign Relations (CFR), der bis heute die wichtigste nicht-staatliche Institution der US-Außenpolitik ist. Kein Außenminister der USA, der nicht dort vernetzt wäre.

Es ist bei allen nun genannten Personen und Familien ihre jüdische Herkunft eindeutig. Was die Machtposition in den USA betrifft, so umgingen sie den damaligen Antijudaismus in der breiten Bevölkerung durch ihren Einfluss aus der zweiten Reihe, etwa auch eines Präsidentenberaters wie Bernard Baruch, im Hauptberuf ebf. Börsenspekulant. – Dass Baruch zur Zielscheibe der Kritik von Nazi-Ideologen wie Alfred Rosenberg wurde, ändert nichts daran, dass er von eminenter historischer Bedeutung war.

Solche Personalien und Institutionengeschichten sind es (und es gibt ihrer viele mehr), die – nach meinem Eindruck sogar weitgehend – aus dem Schulwissen und der akademischen Lehre verschwunden sind. Es werden etwa betreffs US-amerikanischer Geschichte beliebig andere Akzente gesetzt.

Beim Besuch der Tagung erwartete ich schon, dass solche Namen und Beispiele keine Erwähnung finden würden. Sie wären – in ihren Auswirkungen bis hinauf zur Gegenwart – für mich ein primärer Gegenstand dessen, was als Theorie von Verschwörung im Eigentlichen zu gelten hätte.

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Jede pauschale Annahme, die Beschäftigung mit der – nicht unwesentlich im Verborgenen geschehenen – jüdisch geprägten Machtpolitik sei per se „antisemitisch“, ist anti-aufklärerisch und unsachgemäß. (Man muss leider immer dazu erklären: Es geht nicht um die Mehrzahl von Menschen jüdischer Herkunft – die ihre Religion biologisch definiert, über Mutterschaft. Es geht um wichtige jüdische Angehörige von Machteliten und die Frage, ob bestimmte kulturhistorisch-religiöse Prägungen und ins Politische reichende Projekte hier eine geschichtsgestaltende Rolle spielen.) Wer sich solchen Haltungen anschließt, rennt einem flüchtigen Zeitgeist hinterher – der allerdings offensichtlich von deutlich mehr Institutionen (wie der Amadeu Antonio Stiftung) als im Fall anderer Betrachtungsweisen in die Hirne gehämmert werden soll. (Man muss auch fragen: Warum? Wer finanziert das? Zu wessen Vorteil?) Wir beobachten in dieser Hinsicht tatsächlich Gesinnungsterror und eine weitreichende Verhetzung von „links“ – ich kann bisher zu keinem anderen Urteil kommen. Es findet dort alles statt, was man bisher immer der „rechten“ Seite vorwirft: Geschichtsklitterung, Meinungstotalitarismus, Indoktrination durch unzureichende Begriffe und Informationen.

Allgemein scheint man sich auf einen positiven Begriff des „Jüdischen“ berufen zu wollen – welchen, bleibt fortgesetzt unklar. Eine Antwort auf meine konkrete Frage dazu blieb Jan Rathje ja leider komplett schuldig – ein bedenkliches Zeugnis für das, was hierzulande gelehrt wird, institutionelle Förderung erfährt, und eine Bestätigung für die Vorbehalte gegen die Arbeit etwa der Amadeu Antonio Stiftung unter der Leitung einer ehemaligen Stasi-Informantin jüdischer Herkunft, Anetta Kahane.

Dies ist anzumerken, weil es mehr als ein Geschmäckle hat. Es bedeutet keinesfalls, mir sei an der Ausgrenzung jüdischer Personen gelegen. Jede sachliche Auseinandersetzung mit pauschaler anti-jüdischer Hetze ist für mich erwünscht und ebenso notwendig wie andere Aufmerksamkeiten. Und es gilt soziale Ausgrenzung von religionskritischen Ansätzen zu unterscheiden.

Es gibt diverse Strömungen in Judentum und Zionismus, und ein entnervender bis propagandistischer Effekt ist, dass je nach Bedarf diese oder jene definitorisch in Anspruch genommen werden kann und noch für eindeutige Textstellen der Tradition willkürliche Interpretierbarkeit oder wahlweise Inaktualität behauptet wird. Skurril ist jedenfalls, dass Teile der Linken sich naiv mit – ihnen teilweise wohl selbst unbekannten – jüdischen Positionen solidarisieren, die in ihrer textlichen Überlieferung radikal völkisch bis faschistoid verfasst sind. Ein vordergründiges, nach wie vor aktuelles Beispiel dafür ist, dass in Israel Heiraten mit Nicht-Juden gesetzlich untersagt sind (http://www.sueddeutsche.de/leben/heiraten-in-israel-jawort-ohne-jahwe-1.156671) – ein Element jener „Blut und Boden“-Ideologie, die man hierzulande noch heute allein rechtsorientierten Akteuren bzw. dem historischen Nationalsozialismus anlastet.

Der Endpunkt einer unausgegorenen politischen Haltung auf der Linken kann – wie auf der rechten Seite – in politisch motivierter Gewalt bestehen, die sich ideologisch im absoluten Recht wähnt, ideologische Rigorisität übt und leider oft weder willens noch fähig ist, eigene Ansichten im Dialog differenziert darzustellen und zu rechtfertigen. Dies sind neue Formen von Totalitarismus. Leider haben wir auf der Tagung ein Beispiel hierfür gesehen. Und die dabei manifestierte Hilflosigkeit führt Beteiligte ganz offensichtlich dazu, symbolische und organisatorische Gewalt auszuüben. Warum erfährt sie hierzulande – im Gegensatz zu allem möglichen anderen – auch nur irgendeine nennenswerte Unterstützung? – Wer sich auf diese Seite stellt, sollte wissen, dass er einer autoritär-reaktionären, unaufgeklärten Fraktion angehört und ggf. Interessen dient, die er selbst nur unzureichend durchschaut. Historische Parallelen in Deutschland hierzu weist in jüngerer Zeit das allseits kritisierte Nazi-System auf. Eine Beteiligung daran kann eigentlich nicht ‚links‘, jedenfalls nie ‚kritisch‘ oder ‚aufklärerisch‘ sein.

Augenblicklicher Stand der Debatte ist, dass in der Literatur verstreut vielerlei Einzelheiten riesiger Netzwerke vorliegen, die an zentralen Punkten wieder auf die soziale Organsation des CFR etc., die Tradition seiner Urheber bzw. der aktuellen Betreiber zurückzuführen sind. Eine echte Geschichtsschreibung würde diese Netzwerke dokumentieren. Und es gibt eine Tiefenstruktur der personellen Verbindungen, Beteiligungen und Stellvertreter-Beziehungen. Von dieser wissen wir auf wissenschaftlicher Grundlage bisher nicht vollkommen und einvernehmlich, ob Familien wie die Rothschilds eine immer noch bestehende und dabei stark überproportionale Machtposition einnehmen. Für eine etwas größere Anzahl superreicher Familien kann dies allerdings schon begründet gezeigt werden. – Die Auseinandersetzung mit klassisch linken Positionen bezieht sich darauf, ob hier tatsächlich ‚nur‘ ein zu änderndes System die Handlungen aller Beteiligten restlos determiniert oder wie die Handlungsmacht und Intentionalität einzelner weniger Akteure zu definieren ist.


Wer diese historischen Grundlagen ansatzweise kennt, würde also immer trennen zwischen einer notwendigen Konspiratologie, die Teil der Geschichtswissenschaft (bisweilen auch der Kriminalistik) ist, und anderen ‚Verschwörungs-Themen‘ bzw. ‚-Fantasien‘. Sie schließen entweder strukturell an das Verschwörungsthema an (‚Unbekannte/Unsichtbare steuern alles‘) und/oder bringen zunehmend irreale Inhalte in die Debatte ein. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Kontaminierung mit Irrationalem auch von Geheimdiensten als Informationskrieg betrieben wird – im Auftrag derer, die sich demokratischer Kontrolle entziehen wollen.

Es ist – neben der Selbstachtung generell – nach meiner Einschätzung auch politisch notwendig, dieses Wissen klar zu artikulieren. Ein Nicht-Wissen und bewusstloses Handeln in Bezug auf diese Machtinstanzen und -strategien kann in der Praxis bedeuten, den eigenen Opferstatus zu legitimieren. (Wir können alle nur hoffen, dass dies nicht zum neuerlichen Erlebnis zwischenstaatlicher Kriege führt, vor denen dieser Tage auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier explizit warnt.) Ich empfehle auch keine bedingungslose Solidarisierung mit Akteuren, über deren Agenda keine Einsicht zu erlangen ist. Diese Logik des Misstrauens wird irgendwann notwendig zirkulär – aber nur, solange eben eine empirische Aufarbeitung nicht umfangreichst geschehen ist.

Nun noch zu einigen Punkten, die ich mir für eine Schlussdiskussion aufnotiert hatte:

  • Plädoyer für historische Recherche und Themen (wie zu Anfang erläutert)
  • Ausdifferenzierung in Detailstudien
  • Notwendigkeit einer konkreten Stellungnahme als Autor (im Sinne einer Bewertung nach transparenten Kriterien – wo immer nur möglich – statt reinen Meta-Positionen des ‚Die einen sagen so, die anderen so‘)
  • Abbildung von Desinformations-Techniken (z. B.: Zinskritik sei „strukturell antisemitisch“; Konfusion von Mondlandung und Wall-Street-Kabale etc.; Schwächung fundierter Darstellungen durch begleitende politisch radikalisierte Überspitzung oder Abdriften in Pseudo-Debatten)
  • Vermeidung von double binds in der Argumentation (z. B.: Plädoyer für Rationalität <> Errichtung diskursiver Tabus zu empirisch fundierten Sachfragen)
  • Präferenz für ‚schwache Opfer‘ in der Themenwahl (z. B. erkennbar spekulative und fantastische Thematiken statt Wirtschaftsgeschichte)
  • Notwendigkeit einer Flankierung der historisch-soziologischen Betrachtung mit Kultur- und Ideengeschichte, dabei Einbeziehung religiöser Ideenwelten ebenso wie des Okkultismus und von Geheimgesellschaften bzw. -wissenschaften

Eigentlich wäre für all dies eine institutionelle Einbettung notwendig, die das bisher Erreichte nach meinem Eindruck weit übersteigt.

Ich komme leider nicht umhin, nach solchen Erklärungen nochmals zu versichern, dass ich hier keiner versteckten politischen Agenda Ausdruck verleihe. Die uns bevorstehenden zähen Auseinandersetzungen nun auch mit moslemischer Ideologie werden es kaum zulassen, fortgesetzt in weitgehender Unkenntnis auch jüdischer Spielarten und Extremismen zu verweilen. Von deutscher und christlicher Seite werden nun seit Jahrzehnten vielerlei Aspekte von ideologischer Fragwürdigkeit und Schuld aufgearbeitet. Die Netzwerke der Macht, um die es geht, sind keineswegs ausschließlich jüdisch geprägt (welche Nähe zur Religion Personen auch immer ausleben, beanspruchen oder einräumen). Es läuft in Kontroversen leider immer wieder auf das in Deutschland so vorbelastete Verhältnis zum Judentum hinaus. Dabei geht es im Kern um einige jüdische Eliten (neben anderen), weiterreichende geopolitische Konstellationen sowie um Anteile jüdischer Mystik in Geheimlehren des Abendlandes, was Esoteriken der Macht betrifft.

Für letztgenannte Themenbereiche kommt man allerdings um differenzierte Begriffe des Jüdischen, seiner Geschichte und Gegenwart, nicht herum. Alles andere ist definitiv keine Wissenschaft und muss auch dahingehend kritisiert und revidiert werden.

Herzliche Grüße
Daniel

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

Eine Antwort

  1. Heike Heidenreich sagt:

    Sehr geehrter Herr Hermsdorf, ich bin beeindruckt von ihrer “Zähigkeit”(im besten Sinne), die Welt zu begreifen und darum würde ich ihnen gerne eine persönliche Frage stellen: glauben sie an einen Schöpfer oder an die Theorie der (Makro-) Evolution?
    Sollten sie, wie ich vermute, der Lehre der Evolution folgen, möchte ich sie bitten, sich eine gute Stunde Zeit zu nehmen, um dem Vortrag von Werner Gitt “Der Mensch -Produkt des Zufalls oder geniale Konstruktion” zu folgen. Diese Stunde dürfte -vorausgesetzt, ich liege mit meiner Vermutung richtig- ihr Weltbild fundamental erschüttern.
    Ich weiß mittlerweile, dass sie sich mit unglaublich vielen “Theorien” intensiv beschäftigt haben und ich möchte ihnen anempfehlen -falls sie es in ihrer Umtriebigkeit nicht schon getan haben sollten- sich Atlantis vorzunehmen, denn dann werden die Zusammenhänge ,warum unsere Welt so schlecht ist, wie sie nun mal ist, einem vollkommen bewusst.

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