ADHS – das kranke Kind muss einen Namen haben

Die „Süddeutsche Zeitung“ (29.01.2013) weist auf Steigerungen der Zahl von Diagnosen des „Zappelphilipp-Syndroms“ bzw. „ADHS“ hin. In diesem Beitrag verlagert sich die Diskussion einmal mehr wieder auf die Frage, ob nicht die steigenden Zahlen nur mit häufigeren Diagnosen statt mit faktisch häufigeren ‚Erkrankungen‘ zu tun hätten.

Man kann auch grundsätzlich ein sog. „Krankheitsbild“ diskutieren, das irgendwie aus einem Nichts in der Gesellschaft aufgetaucht sein soll. Wenn es eine Veränderung im Erleben und in der Reaktion von Kindern auf ihre Umwelt gibt, ist wohl auch anzunehmen, dass ihre Umwelt sich verändert hat. Während Massenmedien (und scheinbar auch ihre Zuschauer) von Themen wie ‚die Haare von Jürgen Klopp‘ oder ‚Dschungelcamp‘ scheinbar nicht genug bekommen und sie täglich aufs Neue hervorzerren, spielen sich wichtigere Diskussionen im Reservat von gemeinnützigen Organisationen und pädagogischen Fachtagungen ab, ohne Massenwirksamkeit entfalten zu können. Hier heißt es dann beim „Kinderschutzbund“ ganz klar:

Ursache für die im Vergleich zu früheren Generationen geringe körperliche Aktivität von Kindern ist, dass Spiel- und Bewegungsräume für Kinder vor allem durch den immer noch zunehmenden Straßenverkehr immer kleiner werden und dass die Nutzung von elektronischen Medien immer noch steigt. Aber auch die geringe Wertschätzung des freien Spiels im Freien durch Eltern und andere Erwachsene trägt dazu bei.

Da ist es sicher folgerichtig, einen Technik-Wahnsinn namens „Formel 1“ zum Sport umzulügen, statt Platz für Familienleben und frische Luft zu machen. Dass die TV-Angebote für Kinder und Jugendliche in den letzten 2-3 Jahrzehnten explodiert sind, gehört zu den Wirkfaktoren für gesundheitliche und psychische Probleme der Jüngeren im engeren Sinn. In einer geistigen Perversion, die sie selbst vielleicht nicht einmal mehr bemerken, kübeln in privaten und öffentlich-rechtlichen Redaktionen Schmarotzer am Kindesleid oft schlechte und unnütze Filmprodukte in die Republik (Sehenswertes, Richtiges und Nützliches gibt es daneben natürlich auch).

Der Bundesregierung ist das Problem nicht unbekannt, und es klingt gut, zu träumen: „Bewegte Kinder – körperlich und geistig fit“. Auch hier wird als „Mediatisierung“ die krankmachende Medienwirkung erwähnt. In anderen Quellen heißt es dann speziell zum Thema ADHS: „Zappelphilippe haben hohes Risiko für Mediensucht“ („Die Welt“, 18.03.2011).

Psychologische Diagnosen über Schwachsinn beinhalten den Mechanismus, dass Einzelheiten nicht zu einem ganzen Bild gefügt werden können. In diesem Zustand verharren unsere Gesellschaft und Öffentlichkeit. Es fehlt – bei jeweils charakteristischen Verkürzungen, Rhetoriken etc. – zumindest immer am letzten Schritt: die Forderung nach dem Verbot von flächendeckendem TV-Angebot für Kinder oder die nachhaltige Einschränkung der Freiheiten für Auto-Raser sowie ausgiebige Aufklärungskampagnen für Eltern, die selbst der medialen Gehirnwäsche mit Pseudo-Kultur und Konsumangeboten unterliegen.

Ich verwies schon einmal darauf, dass etwa die Vorgängerin der amtierenden Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ursula von der Leyen (CDU), die Schwester des leitenden Managers eines Medienkonzerns ist, was in einem solchen Fall sehr direkt erklärt, warum ihr notwendige und geeignete Maßnahmen kaum in den Sinn gekommen wären. Liegen nicht solche durchsichtigen Interessen und Loyalitäten herrschender Blutlinien vor, ist es wohl bloße Dummheit und/oder Böswilligkeit, die das leise Elend der Fernsehkinder weiter steigert. Die durch sein Privatfernsehen im Kulturverfall als Vorreiter anzusehenden USA zeigen uns, dass hierbei noch jede Menge schlechte Luft nach oben ist.

Daniel Hermsdorf

Verleger, Autor, Journalist bei filmdenken.de - Medienkritik, Verschwörungstheorie und Physiognomik

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